Unter dem Teebaum
Sollte sie dem jungen Mädchen anvertrauen, was vor vielen Jahren geschehen war? Für das, was sie vorhatte, würde sie eine Verbündete brauchen.
»Ich habe Steve nicht freiwillig geheiratet«, sagte sie leise. »Ich musste ihn heiraten. Es hatte etwas mit meinem Vater zu tun. Doch nun ist er tot, und ich bin frei. Deshalb wird er es sein, der gehen muss. Du hast damit nichts zu tun.«
Sie sah Peena an, um zu sehen, ob sie alles verstanden hatte. Peena nickte. »Es liegt ein Geheimnis über Carolina Cellar. Etwas Dunkles. Ich kann es spüren. Manchmal, wenn ich im Weinkeller zu tun habe, bemerkte ich es sehr stark. Manchmal ist es stark, wenn ich in Steves Nähe bin. In der Teebaumplantage aber und in Jonahs Nähe ist alles hell und licht.«
Amber sah sie zweifelnd an, bevor sie erwiderte: »Hier gibt es nichts, das dir Angst machen müsste.«
Peena nickte mehrmals mit dem Kopf. »Ich kann es spüren«, wiederholte sie. »Ich weiß es. Und ich verspreche Ihnen zu helfen, wenn die Dunkelheit sich aus dem Schatten erhebt.«
Amber wedelte ungeduldig mit der Hand. »Das ist lieb von dir, Peena, aber im Augenblick habe ich andere Sorgen.«
Sie sah das Mädchen an. »Bist du nun beruhigt? Geht es dir besser?«
Peena nickte. Dann nahm sie Ambers Hand und betrachtete sie eine kurze Weile. Amber befürchtete schon, dass die Kleine Anstalten machen würde, ihr die Hand zu küssen, doch ihre Sorge war umsonst. Peena schmiegte ihr Gesicht in Ambers Hand und flüsterte: »Danke.«
Diese Geste war so rührend, dass Amber sich räuspern musste.
»Am besten wird es sein, wenn du gleich damit beginnst, die beiden Zimmer leer zu räumen und für deine Bedürfnisse einzurichten. Saleem wird dir dabei helfen.«
Mit diesen Worten wandte sich Amber ab und ging in das Büro, um in Ruhe zu telefonieren. Das Gespräch dauerte nicht lange, und als es beendet war, wirkte Amber sehr erleichtert.
Dann ging sie zum Weinkeller und rief nach Bob. »Du musst mir helfen. Wir werden die Sachen des Masters zusammenpacken und auf die Veranda stellen.«
»Geht der Master fort?«
»Ja.«
Ohne weitere Fragen zu stellen, stapfte Bob hinter Amber ins Guthaus, nahm die Sachen, die Amber ihm zeigte, und stellte sie auf die Veranda. Amber hatte die Türen des Kleiderschranks weit geöffnet und füllte Steves Sachen ordentlich in Kleidersäcke. Sie war fast fertig damit, als Emilia kam.
»Was tust du, Mum?«, fragte sie und sah sich verwundert um.
Amber legte die Sachen, die sie in den Händen hielt, ordentlich auf einen Stuhl und strich sich eine lose Haarsträhne aus der Stirn. Sie hatte sich vor diesem Augenblick gefürchtet. Emilia war zwar selten mit Steve einer Meinung, aber sie liebte ihren Vater. Sein Rausschmiss würde ihr wehtun, das wusste Amber.
Sie setzte sich auf das Bett und sah Emilia an. »Dein Vater ist in Adelaide. Er wird nicht mehr ins Haus zurückkommen. Ich lasse alle seine Sachen auf die Veranda bringen. Gleich kommt ein Schlosser, der die Schlösser auswechselt. Wir werden alle neue Schlüssel bekommen. Nur dein Vater nicht.«
Emilia sagte gar nichts. Sie stand einfach nur da und starrte ihre Mutter an. Eine Neunzehnjährige, die in dieser Stunde wirkte wie ein Mädchen von neun Jahren.
Sie anzusehen zerriss Amber das Herz. Aber sosehr sie Emilia auch liebte, sie konnte nicht länger Rücksicht auf sie nehmen.
»Es ist für immer, nicht wahr? Du bist fest entschlossen, Mum, und möchtest nicht noch einmal darüber nachdenken?« Emilias Stimme klang klein und blass.
»Ich habe viele Jahre darüber nachgedacht. Jetzt ist mein Entschluss unumkehrbar.«
Emilia nickte. Amber sah ihr an, dass sie hin- und hergerissen war.
»Sprich mit mir«, bat sie ihre Tochter. »Sag mir, was dir im Kopf herumgeht.«
Emilia druckste ein wenig herum, ehe sie antwortete: »Ich kann verstehen, dass du die Nase voll hast von Papas Ausflügen ins Spielcasino und in die Bordelle von Tanunda und Adelaide. Ich kann verstehen, dass du es satt hast, wie Papa Jonah behandelt.«
Amber sah, dass Emilia ihre Hände zu Fäusten geballt hatte. »Aber er ist doch mein Vater«, schluchzte sie plötzlich. »Wo soll er denn hin? Er hat doch niemanden außer uns! Wo soll er arbeiten? Wo soll er wohnen? Wovon soll er leben?«
»Komm her«, sagte Amber und streckte Emilia beide Hände entgegen.
Das Mädchen kam und setzte sich auf Ambers Schoß. Nein, in diesen Minuten war sie wirklich nicht neunzehn Jahre alt. In diesen Minuten war sie ein
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