Unter dem Teebaum
weißen Streublumen bedeckt und kragenlos war und einen weißen Gürtel hatte. In der Hand trug sie eine Strickjacke aus heller Wolle, die sie am Abend, wenn es kühl wurde, tragen würde.
»Das Kleid ist gut, wie es ist«, sagte sie und ging langsam weiter. »Es gibt niemanden, für den ich mich schön machen muss.«
Walter senkte den Kopf. Plötzlich hatte Amber das Bedürfnis, ihn zu verletzen. Das Bedürfnis war so mächtig, dass sie nicht genügend Kraft aufbrachte, ihm zu widerstehen.
»Kein Mann soll mich jemals wieder begehren. Warum soll ich mich schön machen? Für wen?«, stieß sie hervor. »Es wird in meinem Leben niemals wieder einen Mann geben. Und du«, sie zeigte mit dem Zeigefinger auf ihren Vater, »bist schuld daran.«
Es war das erste Mal, dass sie mit ihm über Jonah sprach. Nein, natürlich sprach sie auch jetzt nicht über den toten Liebsten, doch sie sprach mit seinem Mörder, sprach von Schuld.
Der Vater zuckte zusammen. »Ich weiß, dass du mir niemals verzeihen kannst, Amber. Glaub mir, ich kann mir ebenfalls nicht verzeihen. Mit der Schuld leben zu müssen ist wohl schwerer, als zu sterben.«
Amber erstarrte. Sein letzter Satz hatte sie entsetzt. Sie begriff, dass ihr Vater wirklich am liebsten tot wäre.
Sie stürzte zu ihm, umarmte ihn. »Nein, Vater«, flüsterte sie. »Nicht auch noch du. Ich könnte es nicht ertragen. Es ist so schon schwer genug.«
Er presste sie an sich, zerdrückte sie beinahe und erwiderte rau: »Ich werde immer für dich da sein, Amber. Ich stehe in deiner Schuld.«
Plötzlich konnte Amber die Worte in ihrem Mund fühlen. Sie konnte sie denken, bevor sie sie aussprach: »Wir alle tragen Schuld.«
Dann löste sie sich behutsam von ihrem Vater und strich ihm über die schlaffen Wangen. Hand in Hand gingen sie zum Auto, an dem Steve Emslie sie bereits erwartete.
»Wo ist eigentlich dein Hund?«, fragte sie den Verwalter.
Steve lachte auf, und es klang künstlich. »Warum fragst du immer nach dem Hund?«
»Ich weiß nicht. Er ist immer da, wo du bist, aber ich habe ihn in den letzten Tagen nicht gesehen.«
Steve pfiff auf zwei Fingern, und aus einer Ecke kam der Mischlingshund heran. Er setzte ein Bein vor das andere, als hätte ihm jemand alle vier Pfoten gebrochen. Fast schon kroch er auf dem Bauch zu seinem Herrn. Seine Augen waren trüb. Er winselte und jaulte leise, hob den Kopf, um seinem Herrn die Hand zu lecken, doch die Hand war zu weit oben, und der Hund brach zusammen, ohne sein Ziel erreicht zu haben.
Amber spürte eine Genugtuung, die sie sich nicht erklären konnte. Konnte man ein Tier hassen? Konnte man es, wenn man nicht wagte, dessen Herrn zu hassen?
Amber hätte den kranken, gequälten Hund am liebsten getreten. So lange, bis er blutend zusammenbrach. Es verwunderte sie, dass sie so dachte, denn es entsprach ihrem Wesen nicht, Tiere oder überhaupt irgendwen zu quälen.
Sie begnügte sich mit einem hässlichen Lachen. »Ich hoffe, er stirbt«, sagte sie.
Steve sah sie getroffen an. »Ich weiß nicht, was mit ihm ist. Seit dem Abend des Weinfestes ist er krank. Er frisst nicht mehr. Manchmal läuft Blut aus seiner Nase.«
Amber lachte noch immer. »Vielleicht haben die Aborigines ihn auf dem Gewissen. Als Abschiedsgeschenk für dich.«
Sie hörte Steve mit den Zähnen knirschen und lachte noch lauter. Der Verwalter starrte auf den Hund, der elend zu ihm aufschaute und um den Tod zu flehen schien. Dann rief er einen der Arbeiter, der gerade in der Nähe zu tun hatte.
»Erschieß den Hund«, befahl er. »Erschieß ihn, und begrab ihn hinter der Halle. Aber komm den Weinbergen nicht zu nahe. Ich möchte nicht, dass das Leichengift in die Reben geht.«
Amber lachte wieder, als sie diese seltsame und unglaubwürdige Begründung hörte. Sie sah auf den Hund, musste an sich halten, um nicht nach ihm zu treten.
Dann stieg sie in den Wagen, beanspruchte den Platz neben ihrem Vater wie eine Selbstverständlichkeit und verwies Steve auf die Rückbank.
Walter Jordan parkte den Wagen ganz in der Nähe der Kirche. Schweigend, als hätten sie nichts miteinander zu tun, gingen sie zur Kirche, grüßten nach rechts und nach links.
Amber setzte sich in eine der hinteren Bänke, direkt an den Rand. Sie hatte Maggie vorhin im Kreise der Brautjungfern, zu denen sie nicht gehörte, kurz gesehen. Das Glück hatte ihr Gesicht in die Breite gezogen. Sie winkte überlegen und selbstgerecht zu Amber herüber, die in ihrem grünen Kleid wie eine Distel
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