Unter dem Teebaum
angeraten, ein wenig mehr von den Hefebakterien zuzusetzen, damit die Maischung schneller und heftiger gärte, doch Amber hatte sich widersetzt. »Guter Wein braucht Zeit, ein guter Winzer braucht Geduld«, hatte sie gesagt und Anweisungen gegeben, die Maische ein wenig zu kühlen, um die Gärung zu drosseln.
Nun war es so weit. Die Flüssigkeit wurde von den Arbeitern durch die Presse gedrückt, und danach wurde der junge Wein zum Ausbau in Fässer und Stahltanks gefüllt.
Der Teil des Weins, der in den Stahltanks reifte, sollte ein guter Tischwein werden. Der andere Teil reifte in Barriquefässern aus französischer und amerikanischer Eiche und bekam durch das Holz eine leicht rauchige Note.
»Was meinst du, Amber«, fragte Walter Jordan. »Ist es ein gutes Weinjahr gewesen?«
Seit Jonahs Tod waren Amber und ihr Vater jedem persönlichen Gespräch ausgewichen. Nur über das Gut und den Wein redeten sie noch, alle anderen Themen wurden furchtsam vermieden.
Amber überlegte. Sie legte einen Finger an die Lippen und sah konzentriert und mit leicht zusammengekniffenen Augen in die Ferne. Es dauerte eine Weile, bis sie antwortete: »Der Ertrag ist gut. Wir haben von jedem Rebstock ungefähr eineinhalb Liter Most gewonnen. Nun ist der Boden ausgetrocknet und muss dringend aufgelockert und gedüngt werden. Ich schlage vor, wir setzen dem Rinderdung Stickstoff, Kali- und Phosphorsäure zu.«
Jordan runzelte die Stirn. »Bisher hat es gereicht, nur mit Kuhmist zu düngen.«
»Lass es mich versuchen, Vater. Rinderdung hat nicht genügend Mineralien. Nach der Trockenheit des letzten Sommers braucht der Boden sehr viel davon. Schick Steve nach Tanunda, um den Dünger zu holen.«
»Steve, ja«, wiederholte Walter Jordan abwesend. Sein Gesicht legte sich in Falten, die Lippen wurden schmal.
»Was ist mit Steve?«, fragte Amber.
»Wie?« Walter Jordan sah sie mit einem so traurigen Ausdruck an, dass Amber den Blick abwenden musste.
»Was ist mit Steve?«, fragte sie noch einmal. Walters Blick verlor sich am Horizont, und in Amber stieg eine leise Ahnung auf.
Sie dachte an die Tage nach Maggies Hochzeit, auf der sie den zerrupften Brautstrauß gefangen hatte. Seither war Steve auffallend oft in ihrer Nähe gewesen. Einmal hatte er sie allein im Weinkeller getroffen. Es war das erste Mal seit der grauenvollen Nacht, dass Amber sich wieder dorthin gewagt hatte. Ganz langsam hatte sie die Tür geöffnet und den Lichtschalter gedrückt. Sie hatte den Kopf ganz weit hochgereckt, um ja nicht an die Stelle sehen zu müssen, an der Jonah gestorben war. Doch dann konnte sie es nicht lassen. Ihr Blick folgte einem inneren Zwang. Schließlich kauerte sie sich an die Stelle, die Aluunda so gründlich geputzt hatte, dass nichts mehr zu sehen war. Mit der Hand streichelte sie den kalten Boden, aber sie konnte Jonah nicht mehr spüren. Plötzlich riss etwas in ihr. Sie konnte es geradezu hören. Ein Geräusch, als würde Seide reißen. Und gleichzeitig strömten die Tränen. Es war das erste Mal, dass sie so ungehemmt und ausschließlich um Jonah weinte. Von jetzt an würde er nur noch in ihrer Erinnerung leben.
Ein Arbeiter kam. Amber hörte seine Schritte, doch sie rührte sich nicht. Er stand in der Tür; sie sah seinen Schatten. Er bewegte sich, ging einen Schritt vor, dann einen zurück, und schließlich verschwand er.
Amber schämte sich nicht. Vor reinen Gefühlen und ihrem Ausdruck gab es keine Scham. Doch sie stand auf, weil sie ahnte, dass der Arbeiter durch ihren Anblick so hilflos geworden war, dass er ihr jemanden zu Hilfe schicken würde. Sie hatte recht. Kaum stand sie an dem riesigen, die ganze Gewölbewand einnehmenden Regal und drehte die Flaschen, in denen der Wein gärte, da kam auch schon Steve. »Was tust du da?«, fragte er. In seiner Stimme klang kein Ärger, sondern eher Besorgnis.
»Ich bin der Winemaker«, erwiderte sie spöttisch. »Und ich beschäftige mich gerade mit der traditionellen Flaschengärung, die zur Herstellung von Sekt angewandt wird.« Sie nahm eine Flasche nach der anderen und drehte sie ein klein wenig. Dann wandte sie sich um, warf den Kopf nach hinten und hoffte, dass das schummerige Kellerlicht die Spuren ihrer Tränen verbarg. Sie sah ihn an und versuchte dabei, so hochmütig zu wirken, wie es nur ging.
»Durch regelmäßiges Rütteln der Flasche lagern sich die Gärungsrückstände – das Depot – im Flaschenhals ab. Nach dem Abschluss der zweiten Gärung wird das Depot
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