Unter dem Teebaum
Eisenbahnverbindung zwischen Sydney und Perth eingeweiht. Bei der Erschließung der Strecke wurden zahlreiche Aborigines aus ihren angestammten Gebieten vertrieben, ihre heiligen Stätten und Traumpfade zerstört. Gleichzeitig aber war es nun für jeden Bewohner Australiens möglich, von einem Ende des Landes zum anderen zu reisen. Obwohl Amber keine Zeit zum Verreisen hatte, schien ihr allein die Möglichkeit ein großer Gewinn für ihre persönliche Unabhängigkeit zu sein. Eines Tages, so nahm sie sich vor, werde ich mit meinen Kindern eine Reise durch das ganze Land machen.
Walter Jordan profitierte ebenfalls davon. Er war ein Kind des neuen Jahrhunderts, hatte in der Nacht zum 1.1.1900 das Licht der Welt erblickt. Nun, in seinem 71. Jahr, durfte er erleben, dass diese Welt in der Zeit seines Lebens nicht besser, aber mit den neuen Möglichkeiten kleiner geworden war. Es war ihm gelungen, auf seinen ausgedehnten Reisen neue Kunden zu gewinnen. Carolina Cellar war ein gesundes Unternehmen. Der Wein verkaufte sich gut, denn in Perth wusste niemand, dass er von einer Kellermeisterin mit einem schwarzen Kind gemacht worden war. Amber war froh, dass die Geldsorgen auf dem Gut ein Ende hatten. Trotzdem arbeitete sie daran, auch die Kunden ihrer Heimatregion von der Qualität ihres Weins zu überzeugen.
Amber hatte einen neuen Weinberg angelegt. Sie hatte versucht, Shirazreben mit Sauvignonreben zu kreuzen, doch das Ergebnis befriedigte sie noch nicht. Der beste Wein kommt von alten Stöcken. Dieser Berg aber hatte seine beste Zeit noch vor sich. Die anderen Hänge brachten gute Erträge; der Wein war von ordentlicher Qualität, und Ambers Verschnitt hatte Erfolge gefeiert. Sogar in einer englischen Weinzeitschrift waren das Gut und sein besonderer Wein lobend erwähnt worden. Eine kleine Hotelkette, die in Adelaide und Canberra mehrere Häuser unterhielt, ihre größten Hotels aber in Perth und Darwin hatte, kaufte bei Carolina Cellar. Bob hatte nach etlichen Versuchen das richtige Mischungsverhältnis zwischen dem Shiraz und dem Cabernet Sauvignon gefunden, das Amber »Australian Dream« genannt hatte.
Der Weineinkäufer Miller, so hieß es, hätte jemanden unter einem Vorwand auf das Gut geschickt, um von dem neuen Wein zu probieren. Doch Walter Jordan war nicht nur ein Geschäftsmann, er war überdies so stur wie seine deutschen Vorfahren. Er hatte sich geschworen, was auch immer geschah, nie wieder an Miller zu verkaufen. Und er hielt seinen Schwur, auch wenn es ihn einige Dollar kostete und Amber ihn immer wieder bat, Miller – und damit auch dem Gut – eine Chance zu geben.
Bob war Amber eine große Hilfe. Er war inzwischen zweiter Kellermeister, hatte ein Gespür für den Wein, erkannte den richtigen Augenblick der Lese, wusste, wie reif die Trauben sein mussten, um einen bestimmten Geschmack hervorzubringen. Während die Trauben in der Maische lagen, verbrachte er sogar die Nächte im Keller. Auch hier kam es auf den richtigen Augenblick an; und Bob hatte für sich entschieden, dass es dabei um Stunden ging. Er scheute sich nicht, die anderen Arbeiter des Weinguts mitten in der Nacht zu wecken, damit der junge Wein von der Maische in die Fässer oder Tanks kam.
Steve aber war zu einem Mann geworden, der sich nur noch selten auf dem Gut sehen ließ. Seit Emilias Geburt gab es weder für ihn noch für Amber einen Anlass, das Schlafzimmer zu teilen. Amber hatte seine Sachen daraus entfernt und als Begründung angeführt, dass sie nicht mit einem Mann leben könne und wolle, der einen wesentlichen Teil von ihr, Jonah, für ein Tier hielt. Es gab eine kurze Auseinandersetzung, seither wurde das Thema gemieden. Das Ehepaar sprach nur noch miteinander, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Ansonsten verbrachte Steve sehr viel Zeit in den Pubs und Puffs von Tanunda. Es hieß, er hätte sich einer Organisation angeschlossen, die die Aborigines bekämpfte. Aber niemand wusste etwas Genaues, denn Steve schwieg auch im Pub und brachte nicht einmal bei den Huren die Zähne auseinander. Er war kein gern gesehener Gast in den Bordellen von Tanunda. Besonders die schwarzen Frauen fürchteten ihn, nannten ihn einen Grobian und zeigten sich nach seinen Besuchen gegenseitig ihre blauen Flecken. Doch sie waren Huren, die sich nicht wehren konnten. Es war ihr Geschäft, mit Männern zu schlafen, die sie hassten und von denen sie gehasst wurden.
Nur mit Emilia sprach Steve. Nur mit Emilia lächelte er, nur bei Emilia kam das
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