Unter dem Teebaum
veränderte, wie die Augen hart und kalt wurden, die Konturen kantig, der Mund schmal.
»Was willst du?«, herrschte er den Kleinen an. Er war noch nicht ganz zwei Jahre alt und hatte doch schon erlebt, was es hieß, ungeliebt zu sein, zu stören. Er senkte den Kopf, die kleine Hand am hochgereckten Arm fest um die Klinke geklammert.
»Baby sehen«, sagte er leise.
»Komm her zu mir«, lockte Amber, doch das Kind schüttelte den Kopf, sah ängstlich zu Steve.
»Komm«, rief Amber erneut. »Komm her, mein Liebling. Sieh dir die kleine Emilia an, deine Schwester.«
»Sie ist nicht seine Schwester«, zischte Steve. »Emilia ist meine Tochter. Sie hat mit dem Nigger nichts zu tun.«
Als der Junge sich umdrehte und wortlos aus dem Zimmer ging, stöhnte Amber leise. Ich habe das nicht gewollt, dachte sie. Ich habe das alles nicht gewollt. Eine Welle von Mitleid fiel über sie her. Sie hatte Mitleid mit Jonah, mit Steve und mit sich selbst. Doch was nützte das schon?
»Wenn du ihn doch mögen könntest«, flüsterte sie. »Wenn du ihn doch lieben würdest, dann könnte ich dich auch lieben. Das weiß ich. Er ist doch noch so klein, ist fast noch ein Baby.«
Steve stand auf. Sein Blick ruhte auf ihr, doch er war voller Abneigung.
»Er ist hier nicht erwünscht. Er ist die Wurzel allen Übels. Gäbe es ihn nicht, so könnten wir glücklich sein. Nein, Amber, ich kann und werde ihn niemals mögen. Für mich wird er immer ein dreckiger Nigger sein. Gezeugt von einer Hure und einem Tier.«
»Und was ist mit uns?«, fragte Amber. »Was ist mit Emilia, mit dir und mit mir?«
»Schaff ihn weg. Wenn er weg ist, werde ich dich lieben, wie ein Mann seine Frau zu lieben hat. Ich werde für dich da sein, dich schützen und behüten. Ich werde alles dafür tun, dass es uns gut geht. Carolina Cellar wird aufblühen, sobald du den Nigger wegschickst und dich um deine Aufgaben hier kümmerst. Er gehört nicht hierher. Er gehört in den Busch. Er ist es, der stört, der uns daran hindert, glücklich zu sein.«
»Er ist mein Sohn, Steve. Ich liebe ihn. Niemals werde ich ihn wegschicken. Er ist ein Teil von mir. Keine einzige Sekunde lang hat er mich gestört. Wenn jemand gehen muss, dann bist du es.«
Jetzt war sie es, die ihn hasserfüllt ansah. »Geh, Steve Emslie. Nimm dein kaltes Herz und verschwinde von Carolina Cellar. Es gibt niemanden hier, der dich braucht.«
Mann und Frau, eben noch bereit, einander zu lieben, die Liebe wenigstens zu versuchen, sahen sich jetzt mit allem Hass an, den eine enttäuschte Hoffnung hervorbringen kann. Sie wussten es noch nicht, doch aus ihnen waren Todfeinde geworden.
Liebe und Hass sind die beiden Seiten einer Münze. Und wenn diese Münze eben noch den Kopf angezeigt hatte, so zeigte sie jetzt, am 2. September 1960, die Zahl.
Dritter Teil
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14
Vier Jahre nach Jonahs und zwei Jahre nach Emilias Geburt erhielten die Aborigines das Wahlrecht. Amber jubelte und dachte an Jonah. Er hätte sich darüber gefreut und wahrscheinlich jedes Wahlprogramm von jeder Partei ausführlich studiert. Während Aluunda stolz war, von nun an als wahlberechtigte Bürgerin Australiens zu gelten, nahmen viele Aborigines in Tanunda dieses Recht nicht wahr. Schuld daran war ihre mangelnde Bildung.
Weitere vier Jahre später, am 1. Januar 1966, wurde im ganzen Land eine neue Währung eingeführt: Der australische Dollar löste das englische Pfund ab. Die Australier strebten zu den Banken und erhielten für jedes Pfund zwei Dollar, aus Pence wurden Cent. Doch noch lange Zeit nannte man zehn Cent einen Shilling. Auch Amber fand die Umstellung schwierig. Jedes Mal, wenn sie irgendwo etwas bezahlen wollte, suchte sie ewig lange in ihrem Portemonnaie, bis sie das richtige Geldstück gefunden hatte. Als Australierin aber war sie froh, dass ihr Land ein weiteres Stück Unabhängigkeit von der englischen Herrschaft erlangt hatte.
Im folgenden Jahr fand eine Volkszählung statt. Und zum ersten Mal wurden die Aborigines mitgezählt. Zum ersten Mal reihte man sie in die Reihe der Menschen ein. Wieder jubelte Amber. Dies Mal dachte sie an ihren kleinen Jonah und daran, dass sein Leben um einiges leichter sein würde als das Leben der Mischlinge aus der vorherigen Generation. Vieles, was seinem Vater verwehrt war, würde er tun können. An Steves Meinung über die Schwarzen änderte das jedoch nichts. Für ihn und viele andere blieben sie Nigger und wilde Tiere.
1970 wurde die erste transkontinentale
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