Unter dem Teebaum
Schule und in den Ferien aber verbrachte Jonah viel Zeit unter dem Teebaum oder bei Aluunda in der Küche. Er wusste, dass sein Vater ein Aborigine war, der im Outback den Tod gefunden hatte. Jonah war klug, sehr klug sogar. Er sah, wie viele der Ureinwohner, hinter die Dinge und wurde nicht müde, Aluunda über sein Volk auszufragen. Schon bevor er in die Schule ging, hatte er eine seltsame Liebe zu den Pflanzen und Tieren entwickelt. Er sprach mit ihnen; sie waren seine Freunde.
Und er liebte Emilia. Die Zehnjährige hatte das blonde Haar und die blauen Augen ihres Vaters geerbt. Sie sah aus wie ein Engel. Manchmal beobachtete Amber ihren Sohn, der Emilia anstarrte und von ihrer engelhaften Schönheit nicht genug bekommen konnte.
Eine Freundin aber hatte Jonah: Diana, die Tochter von Maggie und Jake. Auch sie hatte helle Haut, strahlende Augen und das dunkelblonde Haar ihres Vaters geerbt. Sie war so weiß, wie man nur sein konnte, und trotzdem die Einzige, die sich nicht an Jonahs schwarzer Haut störte.
Einmal, als Diana auf dem Gut zu Gast war und mit Jonahs Wasserfarben malte, mischte sie schwarze und weiße Farbe. Es wurde ein Grau daraus. »Wenn ich groß bin und Jonah heirate, dann bekommen wir graue Kinder«, sagte sie und fügte hinzu: »Das ist sehr praktisch, dann sieht man den Dreck nicht so. Meine Mutter gibt meinem Vater graue Hemden. Die brauchen unsere Kinder dann nicht.«
Amber lud Diana so oft es ging zum Spielen ein. Manchmal kam Maggie mit. Ganz zögerlich fanden die beiden Frauen wieder Kontakt zueinander.
Maggie, fand Amber, hatte sich verändert.
»Du hast dir das Haar schneiden lassen, Maggie«, sagte sie, als Dianas Mutter mit einem modischen Kurzhaarschnitt zu ihr kam.
»Ja, das habe ich. Der Schnitt ist viel praktischer. Ich brauche morgens bedeutend weniger Zeit.« Sie lachte verlegen. »Obwohl ich Zeit genug habe.«
Ihr Blick, mit dem sie das Anwesen betrachtete, wurde ein wenig wehmütig. »Wie geht es mit dem Wein?«, fragte sie.
Amber zuckte mit den Schultern. »Es läuft recht gut. Möchtest du welchen probieren?«
»Deinen ›Australian Dream‹?«
Amber stutzte. »Du kennst den Wein?«
»Alle Winzer sprechen hinter vorgehaltener Hand darüber. Er wurde in einer Weinzeitung erwähnt. Ich habe gehört, dass Lambert eigens in ein Hotel nach Adelaide gefahren sein soll, um ihn zu probieren.«
»Und? Hat er ihm geschmeckt?«
»Er hat nichts darüber erzählt. Er tut so, als wüsste er nicht, dass es dich gibt. Das ist ein gutes Zeichen, glaub mir.«
Die beiden Frauen schlenderten zum Weinkeller. Amber öffnete eine Flasche und goss sich selbst und Maggie ein Glas ein. Sie nahmen die Gläser und die Flasche mit auf die Veranda. Diana und Jonah spielten unter dem Teebaum. Bis zur Veranda konnte man sie lachen hören.
»Wie geht es dir?«, fragte Maggie, nachdem sie den Wein gelobt hatte.
Amber antwortete nicht gleich. Sie sah hinüber zu den Hügeln, die das Gut begrenzten. »Ich sollte wohl sagen, dass es mir gut geht«, erwiderte sie. »Meine Kinder sind gesund, der Betrieb wirft Gewinn ab, ich habe nette Freunde gefunden.«
»Aber glücklich bist du trotzdem nicht, nicht wahr?«
»Ja«, gab Amber zu. »Das Glück ist ein seltener Gast auf Carolina Cellar. Ich hatte mir mein Leben anders vorgestellt.«
Maggie lehnte sich nach vorn und sah Amber aufmerksam an. »Wie denn?«
Amber winkte ab. »Ich hatte geglaubt, etwas bewirken zu können. Ich war der erste weibliche Winemaker in Barossa Valley, und ich liebte einen Schwarzen. Gehofft hatte ich, die erste Gutsbesitzerin mit einem schwarzen Ehemann zu sein. Ich wollte den Fortschritt nach Barossa Valley bringen, wollte beweisen, dass eine Frau ebenso viel zu leisten vermag wie ein Mann und ein Schwarzer ebenso viel wie ein Weißer.«
Sie lachte, aber es klang ein wenig schrill. »Ich bin gescheitert, Maggie. Mein Wein wird nur von Leuten gekauft, die nicht wissen, wer ihn gemacht hat. Und mein schwarzer Sohn muss jeden Tag erleben, was es heißt, ein Mensch zweiter Klasse zu sein.«
»Meinst du wirklich, dass eine Frau ebenso viel leisten kann wie ein Mann?«, fragte Maggie.
»Aber ja. Davon bin ich überzeugt.«
»Das hieße ja, dass ich die Weizenhandlung genauso gut wie Jake führen könnte, oder?«
»Natürlich könntest du das. Du brauchst nur das notwendige Wissen. Das enthalten uns die Männer oft genug vor. Hast du dich noch nie gefragt, warum es mehr Geschäftsführer als Geschäftsführerinnen
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