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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Schultern. »Sie wollten zusammen sein, sie wollten beweisen, dass es eine wirkliche reine Liebe zwischen einem Schwarzen und einer Weißen geben kann. Jonah erzählte mir einmal, dass er sich aus der Bibliothek von Tanunda Bücher ausgeliehen hat, die sich mit dem Anbau von Wein beschäftigten. Ich glaube, sie hatten vor, gemeinsam zu leben und zu arbeiten.«
    »Wie war er, mein Vater? Wofür hat er sich interessiert?«
    Saleem holte ein Päckchen Tabak aus seiner Hosentasche und drehte sich umständlich eine Zigarette. »In einer anderen Zeit wäre dein Vater sicher ein guter Arzt geworden. Er wusste alles über die Pflanzen und Tiere hier in der Gegend. Und er wusste viel über die Menschen. Nein, vielleicht stimmt das nicht. Vielleicht wusste er viel zu wenig über die Menschen, doch er wusste viel von den menschlichen Seelen.«
    »Ein Arzt, sagst du?«, fragte Jonah und sah hinauf in die Blätter des Teebaumes. »Wie Ralph Lorenz?«
    Saleem nickte. »Ich glaube, deinem Vater wäre es gelungen, das Heilwissen der Aborigines mit dem Heilwissen der Weißen zu verbinden.«
    Der Junge sah den alten Mann an. Er kratzte sich dabei am Kopf und scharrte mit den Füßen über den Boden. Seine Nasenflügel bewegten sich, und seine leicht geöffneten Lippen zitterten ein bisschen. »Glaubst du, Saleem, dass ich diese Gabe von meinem Vater geerbt habe?«
    Saleem zog die Schultern hoch und zog an seiner Zigarette. »Wer kann das wissen? Interessierst du dich denn für Pflanzen und Heilkunst?«
    Jonah nickte eifrig. »Ich habe zugesehen, wie Aluunda aus der Rinde von Eukalyptusbäumen einen Sud gemacht hat. Ich weiß, dass der wilde Thymian gut gegen Husten ist. Und als ich meine Milchzähne verloren habe und richtige Zähne bekam, da hat mir Aluunda ein paar Blätter vom Teebaum hier zum Kauen gegeben. Ralph, ich meine Dr. Lorenz, war damit einverstanden.«
    Saleem streckte die Beine aus, schlug die Füße übereinander und drückte die Zigarette neben sich aus. »Wie bist du denn in der Schule?«, fragte er dann.
    Jonah wiegte den Kopf hin und her. »Es gibt ein paar Fächer, in denen ich gut bin, bei anderen habe ich Probleme. Ich mag Mathe, Biologie und Chemie. Geschichte habe ich nicht so gern, weil es dabei immer nur um die Weißen geht.«
    Saleem stand auf und klopfte sich die Hosen sauber. »Ich werde dir beibringen, was ich über die Pflanzen weiß. Wenn du morgen deine Hausaufgaben gemacht hast und nicht mehr im Haus gebraucht wirst, dann komm zu mir. Wir werden zusammen einen Ausflug machen.«
    Jonah war pünktlich. Er hatte die Hausaufgaben so schnell gemacht, wie er nur konnte. Dann war er seinem Stiefvater ausgewichen und zu Saleem gelaufen, der unter dem Teebaum auf ihn gewartet hatte.
    »Weiß deine Mutter, dass du mit mir unterwegs bist?«, fragte Saleem.
    Jonah nickte und holte stolz ein Taschenmesser hervor. »Sie hat es mir geschenkt«, sagte er. »Sie findet es gut, dass ich von dir etwas über meine Ahnen lerne.«
    »Hat sie nie mit dir darüber gesprochen?«
    Jonah scharrte wieder mit dem Fuß im Boden herum. Er tat das immer, wenn er verlegen war.
    »Sie hat mir von der Regenbogenschlange erzählt. Aber sie hat nie mit mir über meinen Vater gesprochen. Er ist tot, das ist alles, was es darüber zu sagen gibt, hat sie gesagt. Mein Stiefvater dagegen spricht manchmal von meinem Vater. Er nennt ihn einen dreckigen Nigger, der zu dumm war, sein elendes Dasein am Leben zu erhalten. Ein Tier wäre mein Vater gewesen, sagt Steve, und dass dieses Tier meine Mutter zu einer Hure gemacht hat.«
    Saleem legte dem Jungen beide Hände auf die Schultern.
    »Sieh mich an«, sagte er.
    Der Junge hob den Kopf. »Deine Mutter ist eine wunderbare Frau. Sie hat vielleicht nicht alles in ihrem Leben richtig gemacht. Niemandem gelingt das. Aber sie war immer von reinem Herzen. Sie ist keine Hure. Sie hat geliebt.«
    »Aber warum spricht sie nie darüber?«, fragte der Junge.
    »Vielleicht, weil sie deinen Vater noch immer vermisst. Vielleicht, weil jede Erinnerung an ihn sie schmerzt. Vielleicht aber auch, weil sie nicht über ihn reden kann. Es gibt viele Gründe, um zu schweigen. Mehr, als es Gründe zum Reden gibt. Eines Tages erzählt sie dir vielleicht von ihm. Bis dahin aber musst du dich mit dem begnügen, was ich weiß.«
    »Du bist von einem anderen Totem, nicht wahr, Saleem?«
    »Ja, das bin ich. Aber zwischen den einzelnen Aborigine-Clans gibt es keinen Krieg. Wir alle sind Kinder unserer Ahnen.«
    »Wo ist mein

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