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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Hühnerbrühe mitgegeben, als ich erkältet war.«
    Über Ambers Gesicht zog ein Lächeln. Nein, es war mehr als das. Es war wie die Sonne, die sich am frühen Morgen mit einem goldenen Funkeln über die Hügel des Barossa Valley ergoss.
    »Sie mögen dich, ja?«, fragte sie immer wieder, und Ralph und Jonah hörten, wie froh und glücklich Amber darüber war.
    »Und wie geht es in der Schule?« Jonah zuckte mit den Achseln. »Gut. Ich werde bald ein Praktikum machen. Ich würde gern in eine Klinik gehen und Ian auch. Wir wollen beide Arzt werden. Mister Schwartz, der Naturkundelehrer, hat uns angeboten, mit ihm gemeinsam an der Universität einen Kurs zu besuchen, der für zukünftige Ärzte abgehalten wird.«
    »Jetzt schon?«, fragte Amber. »Du bist doch gerade erst in der elften Klasse.«
    Jonah wirkte plötzlich sehr aufgeregt. Er zappelte auf seinem Stuhl hin und her und vergaß zu essen, was ungewöhnlich für ihn war.
    Er kramte in seiner Tasche und hielt seiner Mutter endlich ein Schreiben vor die Nase.
    Amber las, dann schüttelte sie den Kopf. »Ist das wahr?«, fragte sie. »Ist das wirklich wahr?«
    Jonah nickte stolz.
    »Ja, es ist wahr. Ian, Terence und ich sind die besten Schüler unseres Jahrgangs. Die Schulleiterin hat uns angeboten, sofort mit dem Abitur zu beginnen. Wenn alles gut läuft, dann kann ich in einem Jahr die Universität besuchen.«
    Amber wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie schüttelte voller Stolz den Kopf und betrachtete Jonah so liebevoll, dass ihm ganz warm wurde.
    »Du hast immer gewusst, Mama, dass ich kein Tier bin, nicht wahr?«, fragte er.
    Der Satz schnitt Amber ins Herz.
    »Nein, Jonah. Das habe ich niemals geglaubt. Du bist schwarz. Die meisten anderen sind weiß. Es gibt Menschen mit blauen und Menschen mit braunen Augen. Das ist alles. Ich wusste, dass du klug bist, aber ich wusste nicht, wie klug du wirklich bist.«
    Ralph Lorenz hatte gut zugehört. Er kannte Amber inzwischen so genau, dass er die Schuldvorwürfe, die sie sich machte, aus den wenigen Sätzen heraushören konnte.
    »Du warst ihm immer eine gute Mutter, Amber. Und du bist es noch immer«, sagte er und legte eine Hand auf ihren Unterarm.
    Sie sah ihn an und versank für einen Augenblick in seinen Augen.
    Als Jonah sich räusperte, kehrte sie in die Gegenwart zurück.
    »Ralph hat immer gesagt, dass ich eines Tages ein guter Arzt werde«, sagte Jonah leise, und seine Hände fuhren dabei über das weiße Tischtuch.
    »Ja, Junge, das habe ich. Und bisher gab es nicht eine Sekunde, in der ich gezweifelt habe.«
    Jonah nickte. Er wirkte plötzlich traurig.
    »Was ist?«, fragte Amber. »Was hast du denn auf einmal?«
    Jonah schüttelte den Kopf. »Nichts, Mama. Gar nichts.«
    Doch sein Lachen, seine überschäumende Lebensfreude und sein Stolz waren plötzlich wie weggeblasen.
    »Weißt du schon, wo du studieren möchtest?«, fragte Ralph.
    Jonah schüttelte stumm den Kopf.
    Amber und Ralph sahen sich an, dann aber bemerkte sie, dass Ralph noch immer seine Hand auf ihrem Unterarm liegen hatte. Schnell zog sie ihn zurück. Auch Ralph wusste jetzt, warum Jonah verstummt war.
    »Hey, Großer«, sagte er. »Ich werde jetzt ein Bier für uns bestellen, und dann reden wir wie Männer. Ist das okay?«
    Zaghaft hob Jonah den Kopf und nickte. Ralph winkte der Bedienung, und zwei Minuten später stand das Bier vor ihnen auf dem Tisch.
    Sie stießen an, dann erhob sich Amber mit der Bemerkung, sich auf der Toilette ein wenig frisch machen zu müssen, und ließ die beiden allein.
    »Ich rede nicht lange drumherum, Jonah. Ich liebe deine Mutter. Schon seit Jahren. Am liebsten wäre mir, sie ließe sich scheiden und würde mit Emilia, dir und mir leben. Aber sie bleibt bei Steve. Ich kenne die Gründe dafür nicht. Du kannst jedoch sicher sein, dass ich immer da bin, wenn sie mich braucht.«
    Er fasste nach der Hand des Jungen. »Und ich bin immer für Emilia und dich da, wenn ihr mich braucht. Ich habe, wie du weißt, keine eigenen Kinder. Hätte ich aber einen Sohn, so wünschte ich, er wäre wie du, Jonah.«
    »Ist das wahr?«, fragte der Junge und sah in diesem Augenblick so ängstlich und verletzlich aus wie ein Zehnjähriger. Er hatte bisher keine besonders guten Erfahrungen mit weißen Männern gemacht, aber Ralph war in all den Jahren freundlich zu ihm gewesen. Er hatte mit ihm gespielt, hatte ihm Fragen beantwortet und ihn nie spüren lassen, dass er schwarz war. Er hatte ihm sogar seine Bücher ausgeliehen

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