Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
Vom Netzwerk:
uns warten muss.«
    Langsam schlenderten sie über die Brücke zu ihrem Hotel. Einmal fasste Ralph nach ihrer Hand, und Amber überließ sie ihm. Einmal lehnte sie sich sogar kurz an seine Schulter. Ein Mann im Anzug eines Geschäftsmannes kam ihnen entgegen. Er sah Amber bewundernd an, sodass Ralph vor Stolz die Brust schwellte. Ja, sie war eine schöne Frau, fand Ralph. Sie war älter geworden, hatte graue Strähnen im Haar und ein paar Falten um die Augen. Doch für Ralph war sie wunderschön. Selbst wenn sie auf Carolina Cellar in ihren grünen Khakihosen und einem einfachen schwarzen oder weißen T-Shirt im Weinkeller oder auf den Hängen arbeitete, war sie natürlich und schön wie eine Blume auf freiem Feld. Sie war am Morgen mit schlaftrunkenem Gesicht ebenso schön für ihn wie am Abend, wenn sie einen zarten Lippenstift aufgelegt und die Haare hochgesteckt hatte.
    Ralph blieb stehen. »Du bist wunderschön, Amber«, sagte er. Amber lachte, doch die Bewunderung, die aus seinen Augen sprach, machte sie stumm und ein wenig verlegen. Sie zupfte an ihrem Kleid. »Ach, nein, Ralph. Ich sehe aus wie eine Landpomeranze«, erwiderte sie ein bisschen schamhaft. »Meine Kleidung entspricht wohl nicht der neuesten Mode einer Großstadt wie Sydney.«
    »Du brauchst keine Mode. Du bist eine Frau mit einem ganz eigenen und wunderbar zu dir passenden Stil.«
    »Danke, Ralph. Du bist lieb.« Amber legte eine Hand an seine Wange. Dann küsste sie ihn leicht auf den Mund und lief übermütig wie ein Kind die Harbour Bridge entlang.
    Zwei Stunden später wollten sie sich mit Jonah zum Essen treffen. Ralph hatte einen Tisch in einem sehr bekannten Feinschmeckerlokal, das sich im Gebäude der Oper befand, bestellt.
    Während sie vor dem Restaurant warteten, zupfte Amber nervös an ihrem Kleid herum.
    Sie hatte es am Vormittag gekauft, einen Traum aus schimmernder taubenblauer Seide.
    »Wenn er sich nun verlaufen hat?«, fragte sie, und Ralph wusste sofort, wen sie meinte.
    »Amber, er hat noch fünf Minuten Zeit. Jonah ist sechzehn Jahre alt und wohnt schon einige Zeit in Sydney. Er ist kein kleiner Junge mehr.«
    Amber seufzte. »Aber ein Mann ist er auch noch nicht.«
    Im selben Augenblick bog Jonah um die Ecke. Als er seine Mutter und Ralph sah, rannte er los.
    Wie damals als Kind, dachte Amber und breitete die Arme aus. Sie achtete nicht darauf, dass Jonah inzwischen größer war als sie. Und Jonah hatte es wohl auch vergessen. Er stürzte seiner Mutter in die Arme, umfasste sie an der Taille und drehte sich einmal mit ihr im Kreis.
    »Hilfe, Jonah, lass mich runter. Du hebst dir einen Bruch«, rief sie freudig aus, doch Jonah lachte.
    Dann stellte er seine Mutter auf die Füße und begrüßte auch Ralph Lorenz mit einer Umarmung.
    »Gut siehst du aus, mein Junge«, stellte Ralph fest. »Noch ein halbes Jahr, dann wirst du mich überragen.«
    Auch Amber fand, dass er sehr gut aussah. »Wie geht es dir? Wie gefällt es dir auf der Schule?«, fragte sie später beim Essen.
    »Es gefällt mir gut. Ich habe viele Freunde gefunden.« Jonahs Gesicht strahlte, als er davon erzählte.
    »Ian ist mein bester Freund. Sein Vater ist der Leiter der Universitätsklinik. Und mit Terence verstehe ich mich auch hervorragend. Seinen Eltern gehört eine Eisenbahnlinie durch das Outback.«
    Amber runzelte die Stirn. Sie griff über den Tisch nach Jonahs Hand. »Du brauchst mich nicht zu belügen«, tadelte sie leise.
    Jonah sah sie verständnislos an. »Warum glaubst du, dass ich lüge?«, fragte er. Es war nicht zu übersehen, dass er gekränkt war.
    Amber seufzte. »Du bist schwarz, Jonah. Und ich glaube nicht, dass der Sohn eines Universitätsprofessors dich gern mit zu sich nach Hause nimmt.«
    Jonah senkte den Kopf.
    »Du täuschst dich, Amber«, widersprach Ralph. »Ich habe zwar nicht in Sydney, sondern nur in Adelaide studiert, aber ich weiß, dass die Hautfarbe nicht überall eine Rolle spielt. Jonahs Schule ist eine Schule für besonders begabte Kinder. Jonah ist begabt. Und er ist ein wundervoller Freund, da bin ich mir sicher.«
    Amber sah ihn an. »Ist es, wie Ralph sagt?«, fragte sie leise.
    »Ja, Mutter. Auf unserer Schule spielt die Hautfarbe keine Rolle. Natürlich gibt es immer einige, die meinen, Weiß sei mehr als Schwarz, aber die meisten sind in Ordnung. Ich war schon oft bei Ian zu Hause. Er lebt nicht im Internat. Seine Eltern sind sehr freundlich und lassen dich herzlich grüßen. Und die Mutter von Terence hat mir

Weitere Kostenlose Bücher