Unter dem Vampirmond 04 - Schicksal
auf und las die Buchtitel. » Eine Geschichte des modernen Europa: Von der Renaissance zur Gegenwart und Grays Anatomie für Studenten. Darin geht es bestimmt nicht um Fernsehserien, so dick wie die sind.« Ich sah fragend zu Ezra auf.
» Nein, das tut es nicht«, sagte er. » Du tust zurzeit überhaupt nichts.«
» Ich tue nicht › nichts‹!«, protestierte ich energisch. » Ich mache vielleicht nicht viel, aber dass ich überhaupt nichts tue, stimmt nicht! Zum Beispiel habe ich das Haus geputzt und manchmal sogar Bobby gefüttert.«
» Dir ist schon klar, dass Bobby kein Haustier ist, oder?« Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich an, als hätte er daran wirklich seine Zweifel.
» Ja, natürlich.« Ich verdrehte die Augen. » Der Punkt ist, dass ich mir Mühe gebe. Ich habe außerdem mit Olivia trainiert, wo ich übrigens auch heute Nacht wieder hingehen werde.«
» Das Training mit Olivia ist gut, aber das allein reicht nicht«, sagte er. » Körperbeherrschung und Kraft sind wertlos, wenn nicht auch dein Geist fit ist. Du brauchst eine gute Bildung, und da du die Highschool abgebrochen hast, muss ich mich jetzt eben darum kümmern.«
» Sieh mal, ich habe ja grundsätzlich gar nichts gegen das Lernen. Es ist nur …« Ich sah auf die Bücher in meinem Schoß und fuhr mit der Hand über deren glänzende Einbände. » Ich sehe keinen rechten Sinn mehr darin. Ich habe ja bereits alles. Was sollte es da noch mehr geben?«
» Ja, du hast es wirklich schwer im Leben«, sagte Ezra trocken.
» Nein, so habe ich das nicht gemeint«, stöhnte ich. » Ich dachte, mit Jack zusammen zu sein, sei alles, was ich wollte. Ich hätte ein erfülltes Leben und wir könnten für immer zusammen glücklich sein. Ich liebe Jack wirklich und ich will auch bei ihm sein. Aber nun, da ich das erreicht habe, merke ich erst, wie lange dieses für immer Glücklich-Sein tatsächlich dauern wird, und … ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.«
» Du brauchst eine Aufgabe«, sagte Ezra wissend. Ich sah zu ihm auf.
» Ja, da hast du wohl recht«, stimmte ich nickend zu. » Aber … wie geht man damit um? Womit füllt man die Ewigkeit? Mit endlosem Patiencen-Legen?«
» Dein Zeitgefühl wird sich verändern.« Er setzte sich neben mich aufs Sofa. » Die Zeit vergeht irgendwann schneller und tendiert zu verschwimmen, sodass sich Jahre irgendwann wie Wochen anfühlen.«
» Und so hält man es aus?«
» Manchmal.« Der Blick aus seinen mahagonifarbenen Augen driftete einen Augenblick in weite Ferne, doch dann nahm er einen tiefen Atemzug und fuhr fort: » Aber du musst den Augenblick und das, was dich umgibt, zu schätzen lernen. Es ist die Vergänglichkeit, die dem Leben seinen Wert gibt, denn obwohl wir selbst für immer existieren, sind die Dinge um uns herum vergänglich.«
» Willst du damit sagen, dass ich alles genießen soll, was vergänglich ist?«, fragte ich. » Dass der Tod gleichbedeutend ist mit Glück?«
» Nicht ganz.« Er lehnte sich zurück und atmete hörbar aus. » Jemanden vor die Wahl zu stellen, ein Vampir zu werden, birgt das Problem, dass es eigentlich gar keine richtige Wahl ist, weil derjenige gar nicht weiß, worauf er sich da einlässt. Man kann als Mensch unmöglich begreifen, wie sich die Ewigkeit anfühlt.«
» Ich sehe in diesem Gefühl keine große Hilfe.«
» Wenn du jemanden liebst, macht das dein Leben erfüllter.« Ezra sah mir tief in die Augen. » Aber es wird dadurch nicht vollkommen. Dafür musst du sorgen. Du selbst musst deinem Leben einen Sinn geben.«
» Hast du mir deshalb die Lehrbücher gebracht?«, fragte ich mit einem nachdenklichen Lächeln.
» Nein, die Bücher sollen dir die nötigen Werkzeuge geben, um das zu tun, wofür du dich letztendlich entscheiden wirst. Denn Wissen ist wahrhaftig das wichtigste dieser Werkzeuge.«
» Was macht ihr beide denn da?« Milo betrat gähnend das Wohnzimmer.
» Oh mein Gott, du bist wirklich der Pawlow’sche Hund unter den Strebern!« Ich lachte. » Ich brauche nur das Wort Lehrbuch in den Mund zu nehmen und schon stehst du auf der Matte.«
» Gehst du denn wieder zur Schule?« Milos Augen weiteten sich hoffnungsvoll.
» Na ja, Ezra wird mich unterrichten. Wenn das zählt …«, sagte ich.
» Oh, das ist fantastisch!« Milo klatschte freudig in die Hände und kam zum Sofa geeilt. » Lass mich sehen!« Er schnappte sich die Bücher, die ich ihm nur allzu gerne überließ, und begann, eifrig darin zu blättern.
» Lies
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