Unter dem Vampirmond 3 - Verlangen
über die Piste talwärts gekullert war. »Du verschwendest unsere Zeit. Mein Akku ist gleich leer und ich habe kein Ladegerät. Willst du wirklich mit mir herumstreiten, wo du doch weißt, dass ich es mir nicht ausreden lasse?«
»Ja, genau das will ich«, erwiderte er. »Außerdem bin ich mir sicher, dass Ezra ein Ladegerät dabeihat; das kannst du benutzen.«
Ein paar Wochen zuvor hatte mir Jack ein iPhone gekauft, das gleiche Modell, das auch Ezra und Jack hatten.
»Ezra spricht Finnisch«, sagte ich. »Das ist echt cool. Ich verstehe kein Wort.«
»Ezra beherrscht so ziemlich alle Sprachen der Welt, sogar die toten. Er war ganz stolz, dass er Die Passion Christi ohne Untertitel anschauen konnte, weil er Aramäisch kann. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es das einzige Mal war, dass er es anwenden konnte.« Jack klang ein bisschen heiterer und ich musste lächeln.
»Sprichst du auch Fremdsprachen?«, fragte ich.
»Spanisch und Deutsch«, erklärte er stolz. »Spanisch habe ich damals an der Highschool gelernt und Deutsch im College. Ich spreche beide Sprachen nicht fließend, aber ich kann meinen Gesprächspartner fragen, ob er Englisch spricht. Mehr brauche ich wahrscheinlich nicht.«
»Ja, das klingt gut.« Ich musste lachen und dennoch traten mir wieder Tränen in die Augen. »Ich vermisse dich.«
»Ich vermisse dich auch. Du kannst nach Hause kommen, Alice, wann immer du willst. Kein Druck.«
»Ich weiß. Aber ich muss erst Ezra helfen. Das dürfte nicht so lange dauern, glaube ich. Wir spüren Peter auf und kommen dann direkt nach Hause.«
Jack erklärte mir gerade, dass es in Finnland weitläufige menschenleere Wälder gab, als Ezra aus dem Bad kam und mich fragend ansah. Er hatte die Hose seines Flanellschlafanzugs und ein T-Shirt an und fuhr sich mit der Hand durch die nassen Haare.
Ich hielt die Hand vor den Hörer. »Es ist Jack«, sagte ich.
»Ist Ezra da? Ich will mit ihm reden!«, erklärte Jack.
»Du brauchst nicht mit ihm reden«, seufzte ich.
»Dann weiß er also, dass wir in Finnland sind?«, fragte Ezra. Als ich verlegen nickte, fuhr er fort: »Was soll’s. Früher oder später hätte er es sowieso erfahren.«
Ezra schlug die blaugrüne Tagesdecke zurück, um sich hinzulegen.
»Jack, ich schlafe jetzt besser ein bisschen. Ich rufe dich bald wieder an und erzähle dir, wie es so läuft«, sagte ich.
»Alice ...« Es klang fast wie ein Wimmern. Er schien es auch zu merken, denn er fuhr beherrschter fort: »Ruf bald an, ja? Und pass auf dich auf!«
»Versprochen.«
Als ich das Gespräch beendet hatte, musste ich ein Schluchzen unterdrücken. Seine Stimme zu hören, hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Mir tat das Herz in der Brust weh. Alles schien aus dem Gleichgewicht zu sein. Ich war entsetzt, wie schwach ich ohne Jack war.
»Du hättest wegen mir das Gespräch nicht beenden müssen«, sagte Ezra.
Ich schluckte die Tränen herunter, starrte das Handy an und lauschte dem Rascheln der Laken, als Ezra es sich bequem machte. Am liebsten hätte ich Jack gleich noch einmal angerufen, doch da es mir nicht geholfen hätte, widerstand ich dem Drang.
»Ich weiß«, sagte ich. Ich legte das Handy auf den Nachttisch und kroch unter die Decke. »Rufst du Mae auch an?«
»Erst wenn ich mehr weiß. Jack kann sie ja auf den neuesten Stand bringen.« Er rollte sich auf den Bauch und drückte den Kopf ins Kissen. »Ist mit dir alles in Ordnung?«
»Ja, es geht schon«, erwiderte ich, ohne es zu meinen.
Ich drehte mich auf die Seite, mit dem Rücken zu ihm, und ließ ein paar stille Tränen die Wangen hinunterlaufen. Ezra sagte nichts mehr und bald hatte er den regelmäßigen Atem des Schlafenden. Mir fiel das Einschlafen leider nicht so leicht.
Als Ezra das Rollo öffnete, stand die Sonne noch am Himmel. Ich blinzelte und zog mir die Decke über den Kopf. Da ich als Vampir noch kaum Erfahrung mit der Sonne hatte sammeln können, ermüdete sie mich und verdarb mir gründlich die Laune.
Ezra war bereits angezogen und pfiff einen alten Neil-Young-Song. Es war Zeit, aufzustehen.
»Wie spät ist es?«, murmelte ich, noch unter der Daunendecke vergraben.
»Es ist kurz nach eins, aber wir müssen los. Das Abenteuer lockt.« Er gluckste, doch mir war nicht nach Lachen.
»Du erwartest wirklich, dass ich jetzt aufstehe?« Ich streckte den Kopf unter der Decke hervor und trotzte dem gleißenden Licht, das den Raum erfüllte.
»Ja, wir müssen los.« Er tippte etwas in sein Handy. »Ich
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