Unter dem Weltenbaum - 01
schwerfallen, einen Fremden auszuschalten.
Aber Belial hatte sie nicht wie Hagen geschlagen und mißhandelt. Im Gegenteil erwies er sich als freundlich, behandelte sie mit Achtung und ging liebevoll mit dem Kind in ihren Armen um. Aschure lächelte immer weiter, bis sie befürchtete, allmählich wie eine Närrin auszusehen. »Glaubt Ihr, daß es vielleicht möglich wäre . «, fragte sie und nickte in Richtung Zelle.
»Aber natürlich«, lächelte nun auch der Leutnant. »Ich hole nur rasch den Schlüssel.«
Aschure stellte das Kind auf den Boden und folgte dem Mann durch den Keller. Als er sich bückte, um den Schlüsselbund von dem Hocker zu nehmen, auf den er ihn abgelegt hatte, zog die junge Frau einen faustgroßen Stein aus der Tasche in ihrer schwarzen Schürze. Sie hob ihn hoch in die Luft, und als Belial sich gerade wieder aufrichtete, ließ sie den Stein niedersausen und traf den Mann hart am Hinterkopf. Belial knickte ein, drehte sich mit einer Miene völliger Verblüffung um die eigene Achse und brach auf dem Boden zusammen, wo er reglos liegenblieb. Aschure starrte ihn eine Weile an, weil sie ihre eigene Tat nicht fassen konnte. Dann ließ sie den Stein wie etwas Widerwärtiges fallen, zitterte am ganzen Leib und schlug sich die Hände vors Gesicht. Was hatte sie bloß getan?
»Rasch!« zischte eine Stimme hinter ihr. »Der Schlüssel!« Die junge Frau fuhr erschrocken herum und sah den Awaren an den Gitterstäben stehen. Er starrte sie eindringlich an. »Der Schlüssel!« drängte er noch einmal. Aschure bückte sich, um ihn vom Boden aufzuheben, und drückte ihn dem Gefangenen in die Hand. Schon einen Moment später hatte er die Zelle aufgesperrt. »Kommt«, forderte Ramu sie auf, »Ihr müßt mit mir kommen. Die Dörfler würden Euch ebenfalls hinrichten.«
Aschure nickte, stand aber immer noch wie erstarrt da. Ihre Beine wollten sich einfach nicht bewegen. Sie warf einen bedauernden Blick auf Belial und hoffte, daß der Schlag ihn nicht getötet hatte. »Tut mir leid«, flüsterte Aschure noch, da wurde sie schon von dem Awaren mitgerissen und zur Treppe geführt.
Axis konnte nicht einschlafen. Er warf sich auf seinem Lager hin und her und ließ sich von jedem Geräusch ablenken, bis er endlich beschloß, wieder aufzustehen. Er zog sich an, band sich den Waffengurt um und trat hinaus in die Nacht.
Der Krieger nickte den Wachleuten zu, die im Kreis rings um das Lager aufgestellt waren. Die Ereignisse des heutigen Nachmittags beschäftigten ihn noch immer. Vor allem die schändliche Tatsache, in welch erbarmungswürdigem Zustand sich die beiden Unaussprechlichen befunden hatten. Er hatte auf vielen Schlachtfeldern Tod und Elend gesehen, aber noch nie solch mutwillige Grausamkeit, die auch noch im Namen des Seneschalls verübt worden war! Die Mordlust in den Augen der Dörfler hatte den Axtherrn abgestoßen, und als er nun durch die klare, kalte Nachtluft schritt, entsetzte ihn die Vorstellung, was man morgen mit den beiden Gefangenen anzustellen gedachte.
Axis verwünschte sich, als er den Weg zum Bethaus einschlug. Aber vielleicht beruhigte es ihn, wenn er sich eine Weile mit Belial unterhielt.
Doch kaum stieg er die Treppe zum Keller hinunter, da spürte er schon, daß hier etwas nicht stimmte. Und tatsächlich, die Zellentür stand weit auf, und sein Leutnant lag regungslos an der Wand. Mit großen Schritten eilte der Krieger an die Seite seines Freundes und drehte ihn vorsichtig um. Der Mann atmete noch, hatte aber eine große Beule am Hinterkopf. Wer immer den Soldaten überwältigt hatte, hatte seine Arbeit gründlich getan.
In Axis keimte ein bestimmter Verdacht, wer dafür verantwortlich war.
Er stürmte die Treppe in großen Sprüngen hinauf und bewältigte die Strecke vom Bethaus zu Hagens Heim in sechs Herzschlägen. Ohne anzuklopfen, drang er in die Hütte ein. Der Priester lag in einer Blutlache neben dem Bett, und ein Messer ragte ihm aus dem Bauch. Auf dem Tisch fand sich ein blutbeschmiertes Tuch, und von Aschure und dem Mädchen war nichts zu sehen. Axis fluchte und sah nach dem Pflughüter. Sein Körper erkaltete bereits, und der Krieger stieß laute Verwünschungen aus.
Er lief nach draußen und versuchte, sich unter dem frühen Dämmerhimmel zurechtfinden. Aschure und der Aware wollten vermutlich ins Verbotene Tal … und Arne hatte das Lager auf der anderen Seite vor dem Dorf errichtet. Axis blieb keine Zeit mehr, die Axtschwinger zu wecken, und er verspürte auch wenig
Weitere Kostenlose Bücher