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Unter dem Weltenbaum - 01

Unter dem Weltenbaum - 01

Titel: Unter dem Weltenbaum - 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglass Sara
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hatten den jungen Bruder sonderlich tief ins Herz geschlossen. Beide wußten zwar, daß dies keine überaus brüderliche Einstellung war, aber er ließ sich leider nur zu deutlich anzumerken, daß er einer der hochgestellten Familien Karlons entstammte. Zu seiner anmaßenden Art kamen eine ungesunde Gesichtsfarbe, dürre Beine und ständig schwitzende Handflächen, was ihn nicht liebenswerter machte. Doch der junge Mann besaß einen äußerst scharfen Verstand, mit dem er auch die unzusammenhängendsten Daten aus den unterschiedlichsten Quellen aufzunehmen vermochte, um sie dann rascher als jeder andere zu verarbeiten, zu ordnen und zu gliedern. Daneben zeichnete ihn ein ungeheurer Ehrgeiz aus. Der Bruderführer und sein Erster Ratgeber waren daher zu dem Schluß gelangt, daß Gilbert sich am ehesten unter ihrem wachsamen Auge bewähren könne.
    Der junge Gehilfe ließ sich auf seinem Stuhl nieder und verrenkte sich, bis sein Rückgrat eine Linie mit der Rückenlehne bildete. Erst danach fühlte er sich bereit, dem Wunsch seines Herrn Folge zu leisten. Moryson und Jayme unterdrückten ein Grinsen, als sie geduldig den Bemühungen Gilberts zusahen.
    »Brüder unter Artor«, begann der Jüngling traditionell, und seine beiden Zuhörer verdrehten die Augen, »seit dem in diesem Jahr ungewöhnlich spät einsetzenden Tauwetter sind hier im Seneschall zahlreiche Nachrichten des Inhalts eingegangen, daß es in den Grenzprovinzen des Reiches zu, äh, ungewöhnlichen Aktivitäten gekommen ist. Zunächst sind da die Berichte unserer Brüder in der Zuflucht nahe der Stadt Gorken zu nennen, denen zufolge der Befehlshaber von Gorken im zurückliegenden Winter mehr Soldaten als üblich auf Patrouillen verloren habe.« Der kleine Flecken Gorken, der zweihundert Meilen weiter nördlich lag, drängte sich schutzsuchend an die Garnison von Gorken. Schon vor Jahrhunderten hatten die Herrscher von Achar auf dem Gorkenpaß in Ichtar eine starke Befestigung errichtet, die auch heute noch das Hauptverteidigungsbollwerk der nördlichen Provinzen darstellte.
    »Wer rechnet auch damit, daß jeder einzelne Soldat von einer Streife zurückkehrt«, murmelte der Bruderführer gereizt, »vor allem dann, wenn man sie im tiefsten Winter in die Ödländer des Nordens aussendet?« Aber Gilbert runzelte bei dieser Unterbrechung nur die Stirn und führte seine Rede ungerührt fort.
    »Mehr Männer als üblich kehrten nicht zurück, Bruderführer Und die Soldaten, die man in der Festung Gorken stationiert hat, gehören zu den besten des Reiches. Der Herzog von Ichtar stellt sie aus seiner eigenen Grenzwehr zur Verfügung. Sowohl Herzog Bornheld als auch Fürst Magariz, der Festungskommandant, wissen, daß man bei Winterpatrouillen immer mit Ausfällen rechnen muß. Doch nie zuvor haben sie dabei sechsundachtzig Männer verloren. Gewöhnlich stellt der Winter den größten Feind der Garnison dar, doch in diesem Jahr befürchten der Herzog wie auch der Fürst, daß sich ein neuer Gegner in den Schneemassen verbirgt.«
    »Besitzt Bornheld irgendwelche Beweise dafür? Hat er diesen neuen Feind mit eigenen Augen gesehen, Bruder?« fragte Moryson übertrieben nachsichtig. »Im vergangenen Jahr ist der Herzog lieber um den König herumscharwenzelt, statt sich um seine Nordfestung zu kümmern.«
    Gilberts Augen blitzten kurz auf. Diese beiden alten Männer mochten ihn ja für einen eingebildeten Narren halten, aber er hatte sich gut vorbereitet und konnte sich auf seine Quellen verlassen.
    »Herzog Bornheld ist im Blumen- und im Rosenmond nach Ichtar zurückgekehrt, Bruder Moryson. Dabei hat er nicht nur in Hsingard und Sigholt geweilt, sondern auch den hohen Norden besucht, um sich mit Fürst Magariz zu beraten. Bei dieser Gelegenheit hat er auch die Soldaten der Garnison angehört, um von ihnen zu erfahren, was an der Grenze geschieht. Vielleicht, ehrwürdiger Ratgeber, warst du ja zu beschäftigt damit, den reichlich hereinströmenden Zehnten zu zählen, und hast darüber gar nicht mitbekommen, was draußen in der Welt geschieht.«
    »Gilbert!« tadelte der Bruderführer den Jüngling mit scharfer Stimme. Der Gehilfe senkte sofort das Haupt und entschuldigte sich auf diese Weise bei Moryson. Der Ratgeber warf Jayme über den Kopf des Jünglings hinweg einen ernsten Blick zu. Sobald der Bruderführer mit Gilbert allein wäre, würde dieser eine scharfe Zurechtweisung erhalten.
    »Wenn ich jetzt fortfahren darf …«, murmelte der Jüngling demütig.
    Jayme

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