Unter dem Zwillingsstern
Sie sprechen m öcht!«
»Ich bin nicht da!« zischte C a rla und konstatierte, daß sie den Rah m en würde ersetzen m üssen und wahrscheinlich das Machwerk darunter obendrein. Die schweren S c hritte auf dem Gang hatten noch nicht die Treppe erreich t , als Carla einfiel, daß sie oh n ehin Frau Oppelts Hil f e benötigen würde, denn sie hatte kein eigenes V erbandszeug, also öffnete sie die Tür, um der Ver m ieterin nachzurufen. Sie bereute es sofort.
Auf der Treppe ka m , i m Laufsch r itt, ihr Schwager Philipp hoch.
»Sie, des geht aber net, des gibts fei net bei m i r«, protestierte Frau Oppelt.
Carla b ala nc ierte auf ei n em Bein, den Fuß des anderen in der rechten Hand, und wünschte ihn aus ganzem Her z en zum T e ufel. Ihr wurde bewußt, daß sie ihre ältes t en Hosen und die S t rickjacke trug, weil das ihre Kleidung für Proben war und sie nach ihrer Rückkehr von der Arbeit keinen Anlaß geseh e n hatte, sich u m zuziehen. Außerdem war ihr Haar nicht gekäm m t, und m it ihrer blutenden F erse gab sie be s tim m t ein völlig lächerliches Bild ab. Es ging doch nichts über die Fähigkeit von Männern, selbst und gerade von ge m einen, unsy m pathischen Männern, einem die eigenen Unzulänglichkeiten in Leuchtbuchstaben an die Wand zu schreiben.
»Geh weg«, sagte s i e wütend. »Ich w ill n i e m anden sehen.«
»Der Fuß muß verbunden werden«, entgegnete Philipp, oh n e ihre Äußerung zu beachten, und Frau Oppelt fiel ein: »Jessas n a, Sie bluten j a !«
Es gab i mmer noch die Möglichkeit, zurück in ihr Zimmer zu hüpfen und Frau Oppelts L aken vollzubluten, doch das erschien Carla dann doch zu dumm. Also hüpfte sie statt dessen, in der besten Absicht, Philipp zu ignorieren, hinter F r au Oppelt her, auf das Treppengeländer zu.
»Jessas, Fräulein, wartens, ich helf Ihnen.«
»Das ist nicht nötig«, sagte Phi l ipp und hob sie ohne weiteres hoch. Sie kannte solche Szenen zu gut von der Bühne, um nicht zu wissen, wie albern ein Stra m peln wirkte; es bestand wirklich kein Grund, hier m it Philipp eine L aienversion von Der Widerspenstigen Zähmung aufzuführen. Also hielt sie still, während er sie die Treppe hinuntertrug, aber sie flüsterte, da m it es die vorauswatschelnde Frau Oppelt nicht hörte:
»Ich will di c h im m er noch nicht seh e n, ich bin f u rchtb a r schlecht e r Laune, und wenn du je m anden su c hst, m it dem du streiten kannst, dann geh zum hiesigen Abgeordneten der SPD!«
»Sei nicht kindisch«, ant w ortete er auf seine hassenswert überlegene Art, und sie bedauerte plötzlich, nicht m ehr zu wiegen. Er geriet die ganzen vier Stock w erke hinunter noch nicht ein m al ins Keuchen. Als er sie auf d e m Stuhl neben F rau Oppelts Küchentisch absetzte, sagte er zu der Ver m ieterin: »Überlassen Sie das m i r« und nahm ihr das Verbandszeug ab.
Im m erhin, er wußte, was er tat, dachte Carla und beobachtete ihn stumm dabei, wie er ihre W unde a uswusch, desinfizierte und eine Mullbin d e um ihren Fuß wickelte. Mut m aßlich hatte er im Krieg anderen Leuten schlimmere Dinge als Glassplitter entfernt, obwohl sie sich Philipp den Hai nicht als Sanitäter vorstellen konnte.
»Danke«, sagte sie schließlich m ü rrisch, als er Frau Oppelt m it dem Besch e id weggeschickt hatte, er m üsse F a m i lienangelegenheiten m it ihr besprechen. » A ber ich fühle m i ch i m m er noch s cheußlich, und ich wäre dir noch dankbarer, w e nn du so bald wie m öglich wieder verschwändest.«
Zu Philipp grob zu sein brachte zu m indest kein schlechtes Gewissen m it sich. Er verdiente nic h ts an d eres. Carla wartete auf eine w e itere höhnische B e m erkung über ihren Mangel an Manieren; so wie sie aussah, bestand heute wenigst e ns kein Anlaß, sie wie ein Pfund Fleisch auf dem Markt zu taxieren.
Philipp erstaunte sie trotzde m . Er ließ sich auf den zweiten Küchensche m el sinken, starrte auf s e ine Hände und sagte abrupt: »Deine Schwester wird kein Kind bek o m m en. Sie hat nie eines erwartet. Der Arzt meint, es sei eine Sch e inschwangerschaft gewesen, so etwas komme m anch m al vor. Er behauptet außerde m , es sei äußerst unwahrscheinlich, daß sie je guter H offnung sein werde.«
»All m ächtiger.« Carla h atte im letzten Jahr ei ni ge der beli e btesten Nürnberger Wendungen übernom m e n, und jetzt riß sie die aufrichtige Bestürzung aus ihrer Depression. »Die ar m e Marianne«, sagte sie leise. W ie banal m an sich anhörte, wenn m an a
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