Unter dem Zwillingsstern
Lilli; Lilli reic h te ihr hastig das Gewünschte und legte die Puderdose zur ü ck in Carlas Handtasche.
»Ich m eine, kann ja sein, daß er so viel zu tun hat, aber ich könnte schwören, daß er vor dem Essen noch…«
»Falls er dich nicht betrügt«, unterbrach Carla sie und zog ihren Mund nach, »dann tut er es garantiert, wenn du ihn oft genug verdächti g st. Du, in m einer Handtasc h e herr s cht wieder ein einzi g es Chaos, sei so gut und schaff da etwas Ordnung, aber lies m i r die Zettel v o r, ehe du sie wegwir f st. Also, was Robert angeht, zeig ihm lieber nicht so offen, wie gern du i hn hast. Gib dich etwas unerreichbarer.«
Lilli m achte ein zweifelndes Gesic h t, aber sie las gehorsam die Adressen, Telefonnum m e r n, Notizen und W erbezettel vor, ehe sie in den Papierkorb wanderten. Im Spiegel beobachtete Carla sie. Lilli war hübsch, das, was man so »ein süßes Mädel« und »zum Anbeißen« nannt e , wenn sie a uch etwas z u deutlich Lilian Harvey i m itie r te. In gewisser W eise w ar es bef r iedigend, sie zu ihrer Dienerin u m funktioniert zu haben. A ußerdem fiel es Carla leicht, Men s chen zu mögen, über die sie m ehr wußte a l s die s e Me n schen üb e r sie, und Robert hatte ihr eigentlich alles üb e r Lilli e r zä h lt, was es z u wissen gab. Ja, er würde sie sehr bald fallenlassen. Aber das m u ßte nicht bedeuten, daß sie selbst Lilli ebenf a lls nicht m ehr sah; die herablassende Sy m p athie, die sie für L illi empfand, w a r durchaus echt. Das Ganze erin n erte sie etwas an dieje n igen i h rer Mitsch ü l e ri n nen, die nach ihrer Anastasia-Geschichte plötzlich begonnen hatten, für sie zu schwär m en. Es war unbestreitbar schön, bewundert und bedient zu werden.
Also ließ sie sich von Lilli beg l eiten und begriff bald, was K äthe so beunruhigt hatte. Die Straßen steckten wirklich voller »Deutschland, erwache!« s kandierender Nazis, u n d als sie d ie Stra ß en b ahnli n ie wechselten, gerieten sie um ein H aar in eine Straßensc h lacht zwischen den Hakenkreuzlern und den ebenso zahlreichen Kommunisten.
» W ie alt bist du eigentlich, Lilli ? «
»Dreiundzwanzig.«
»Hast du gewählt ? «
»Nein.« Lilli schüttelte den Kop f . » W en soll ich schon wähle n ? Mein Vater sagt, die sind eh alle gleich und bringen das Land auf den Hund. Carla, warum ha s t du keinen f esten Freund ? «
» W er behauptet das?« gab Carla zurück und fand sich da m it ab, daß m it Lilli kein ern s th af tes Gesprä c h zu f ühren war.
»Alle. Hugo zuletzt, als du ihn hast abblitzen lassen. Bist du noch Jungfrau? E r sagt, du wärst eine.«
»Ich glaube nicht, daß Hugo darüber Kenntnisse bes i tzt«, erwiderte Carla leichthin, obwohl sie ein wenig verärgert war. Sie hatte es all m ählich satt, daß jeder so tat, als sei an ihrem Status etwas Unnor m ales.
» W eil, wenn du noch Jungfrau bis t «, schloß Lilli und zeigte ungeahntes Talent zur Boshaftigkeit im unschuldigen Tonfall, »dann bin ich eigentlich blöd, dich um Rat zu fragen.«
Es wurde Z eit, die Krallen zu z e igen und die Hierarchie wieder herzustellen. »Mein Schatz, du frag s t m i ch nicht wegen m eines Liebeslebens um Rat, sondern weg e n deines Liebeslebens, und ich könnte m i r wirklich interessantere T h e m en vorstellen. Es gibt dabei nichts, was ich nicht schon gehört habe.«
Ein oder zwei Details hinzuzu f ügen wäre unnötig grausam gewesen; Lillis rosige Stirn legte sich auch so in kum m ervolle Falten.
»Hat er dir erzählt, daß er m ich betrügt ? «
Und da m it wären wir wieder am Anfang, dachte Carla resigniert. Da f ür ließ sie sich von Lilli ihren Text abhören, im Tiergarten, denn es ging ihr d aru m , ihr Stimmvolu m en zu erweite r n. Sie stellte Lilli in zehn Meter Entfernung von sich au f , schärfte ihr ein, sofort zu rufen, wenn sie etwas nicht verstand, und begann von dort an, rückwärts gehend, m it ihren Zeilen. Als sie e t wa vierzig Meter geschafft hatte, kam Lilli ihr nachgelau fe n. »Du solltest doch ru f en!«
»Ich weiß, aber Carla, hier m arschieren überall Polizisten heru m . Das ist m i r unhei m lich. Einer hat m i ch angesprochen und gefragt, was ich all e ine hier m ache. Ich will nicht, daß man m ich f ür so eine hält!«
Die Poli z isten, so stellte sich he raus, waren wegen eines Anschlags auf ein Café in der Nähe hier. Carla schaute auf d i e nächste Uhr und beschloß, noch schwim m en zu gehen, bevor ihre Probe anfing. Im stillen
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