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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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die jetzt die Bühne betrat, völlig unerwartet. Sie begann zu sprechen, irgend etwas über »zwiefach geteilte Pflic h t«, ging zu dem Othello-Darsteller und küßte ihn auf den Mund. Es war die perfekteste Mischung aus Sinnlichkeit und Unschuld, die Genevieve je erlebt h a tte, und sie griff nach ihrem Fernglas, um das Gesicht des Mädchens aus der Nähe zu sehen.
    »Paul, Sie S chuft«, m u r m elte sie, w ährend sie sich überlegte, wie die graugrünen Augen wohl, auf Zelluloid gebannt, wirken würden,
    »Sie hätten m i r wirklich verra t en k önnen, daß Sie unsere Car m illa gefunden haben.«
    »Sind Sie sich sicher?« fragte Paul Kohner neckend. » W arten Sie doch den Rest der Vorstellung ab. Die großen Szenen kom m en erst noch.«
    Genevieve lächelte, und weil sie im Dunkeln das Programm nicht m ehr lesen konnte, erkundigte sie sich nach dem N a m en des Mädchens.
    »Carla Fehr.«
    »Schschschsch«, zischte je m and h i nter ihnen e m pört. G e nevieve konzentrierte sich wieder auf das Geschehen auf der Bühne, und sie wurde nicht enttäuscht. Die ganze Inszenierung war von je m and e m, der ein Auge dafür hatte, um Dr e i ecke herumko m poniert worden, was das Bühnenbild und die Aufstellung des Ense m bles anging, und um die drei Hauptfiguren. Die bei d en Männer waren exzellent, keine Frage, aber die Frau war subtile r . Nicht nur in den großen Eifersuchtss z en e n m it Othello, wo ihr Partner ein drängendes Gefühl zum Ausdruck brachte, während sie die ganze Skala zwischen zärtlicher Liebe, Ver w underung und Verletztheit durchspielte, sondern auch in den klei n er e n, beiläu f i g eren Au f tr i tten. In i h rer Szene m it E m ilia »Die Männer, oh, die Männer!« brachte s ie es fertig, durch ihr Verhalten die ganze Tiefe der Freun d schaft zu i h rer Kammerfrau zu ver m itteln, die als Gru n dlage f ür E m ilias Verhalten n ach ihrem Tod notwendig war. Sie le g t e den Kopf in E m ilias Schoß, ließ sich d i e Haare käm m en, griff s päter selbst zu Bürste und K a mm, während E m ilia protestierte, und spielte eine necken d e Panto m i m e durch, während der Dialog nicht abriß.
    »Sie m uß unbedingt einen Scree n test m achen«, sagte Genevieve entschieden. »Ist sie hier unter Vertr a g? W er ist ihr Agent?«
    »Held, und nein, sie spielt nur in d i eser einen Inszenierung m it«, erwiderte K ohner zufrieden.
    Es war ein Risiko gewesen, Genevieve nach Europa zu holen, ohne bereits eine Hauptdarstellerin zu haben, doch er wußte, wieviel W ert Genevieve Beresford auf ein Mit s pracherecht in der Au sw ahl ihrer Darsteller legte. Ja, er sah es vor sich: Genevieves Verfilmung von Carmilla würde für Universal das bedeuten, was für Paramount und die UFA der Blaue Engel gewesen war, und m it etwas Glück, wenn das Mädchen sich für die Leinwand eignete, hatten sie auch endlich ihren wei b lichen europäischen Star. Carl Laem m l e war die Furore, die Marlene Dietrich bei Para m ount und Greta Garbo bei MGM ge m acht hatten, nicht entgangen. Natürlich konnte es auch sein, daß dieses Mädchen nicht das geringste Talent für den Film besaß; einigen der besten Bühnenschauspieler ging es ähnlich. Es war ein Glücksspiel. Manche Schauspieler liebte die Ka m era, andere nicht.
    Man m ußte natürlich die Tests abwarten. Aber sollte sie ungeeignet sein, gab es in Berlin immer noch einen reichen Fundus an Schauspielerinnen. Die Zukunft sah für ihn rundum e r freulich aus.
    »Sagen Sie, Paul«, unterbrach ihn Genevieve, ohne Desde m ona, die gerade von Othello erdrosselt wurde, aus den Augen zu lassen,
    »wie haben Sie Onkel Carl eige n tlich dazu überre d et, u ns die s en Stoff zu geneh m igen ? «
    »Ich habe ihm das Bu c h als groß e n englisc he n Liter a tur k lassi ke r verkauft und ihn an den Erfolg von Dracula im let z ten Ja h r erinn e rt. Aber Sie t u n ihm Unrecht. Onkel Carl ist n i c ht L.B. er trom m elt nicht bei jeder Gelegenheit auf die m oralische Pauke.«
    Genevieve zog eine Gri m asse. »Erinnern Sie mich n icht an Mayer. Jack W arner hat m i ch ein m al an Metro ausgeliehen, das hat m i r genügt. Sicher, die Bezahlung ist bes s er als sonst irgendwo, aber du m eine Güte, Mayer trä g t kräftiger a u f als sein kitschigster Kontra k t spieler, we n n er sei n en W illen ni c ht bekom m t . Er ist das Mens c h gewordene Krokodil. Tränen, Tränen und ein Maul voller scharfer Zähne, das gleichzeitig zuschnappt.«
    Bei dem Gedanken an das all m ächtige

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