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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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ihr Tod und daß ich es ihn tun ließ, weil i c h es nic h t fertig b rac h te, ihn dazu getrieben hat.«
    Er ließ die Hände sinken und lehn t e sich m üde zurück. »Barbara war eine so stolze Frau. Sie haßte es schon, pflegebedürftig zu sein. Aber sie so leiden zu sehen…«
    »Ich weiß«, sagte Carla. »Ich habe es bei m einer Schwester erlebt, und Robert hat m i ch davor gewarnt. Er versteht wirklich, warum S i e es getan haben.«
    Auch wenn das in seiner Kindheit anders w ar, fügte sie stillschweigend hinzu, aber es blieb ebenso una u sgesprochen wie der U m stand, daß Rainer König sich vie l leicht von allein zu Tode trank, aber der Verlust seines Sohnes an den Mann, der bereits sein Rivale um die Gunst seiner Frau gewesen war, den Prozeß ganz gewiß nicht verlangsa m t hatte. Sie erinnerte sich an Roberts zweiköpfige Leh m figur und an die andere Nacht, Jah r e später, als sie ihren kindlichen Pakt erneu e rt hatten. Ver m utlich würde ein r a tional e r Me n sch wie Dr. Gold m a nn ihr erklären, daß je m and e m d e n Tod zu wünschen nicht das gleiche war, wie ihn zu t ö ten. Doch er irrte s i ch.
    Zeit, die D a u m enschra u ben wieder anzuzie h en. »Es m uß schlimm gewesen sein, all die Jahre allein m it so einem G e hei m nis zu leben.«
    »Das war es.«
    Bitte, d achte Carla, bitte zwingen S i e m i ch ni c ht, noch de utlicher zu werden. Trotz der Dinge, die er über sie wußte, hatte D r . Gold m ann ihr immer eine wohlwolle n de, hilfsbereite Sy m pathie ent g egengebracht, deren Verlust furchtbar wäre, das wurde ihr e rst jetzt, als dieser drohte, gänzlich klar. V i elleicht lag das ihrem W u nsch, ihn m it Käthe zusam m enzubringen, zugrunde: Er w ar der Vater, den sie gerne gehabt hätte. Humorvoll, ohne bösartig zu sein, liebevoll, ohne je in Haß zu verfallen, fürsorglich, und wenn es gelegentlich ans Gluckenhafte grenzte, was m achte das schon? Und vor allem, er verurteilte sie nicht und h a tte ihr nie das Gefühl gegeben, m inderwertig zu sein. Ihr nächster Satz würde das alles zerstören.
    Bitte, dachte Carla und war s i ch d es W i dersi n ns bewußt, ausgerechnet in so einer Situation ein Gebet zu formulieren, laß ihn m i r helfen, bevor ich das sagen m uß.
    Dr. Gold m a nns Schweigen dehnte s i ch, zerrte wie Stachel d r a ht, der sich in der Haut festgehakt hatte, an ihr.
    »Es…«, begann sie, als je m and i m H i m m el oder in der Hölle sie erhörte.
    » W ie wir uns doch oft selbst b e lügen«, sagte Dr. Gold m a nn. »Ich habe m ich danach sofort bei der A r mee ge m eldet, etwas, das sie ganz gewiß nicht gebilligt hätte, denn sie haßte den Krieg und m e inte, die Ärzte d o rt würden die Soldaten nur zusam m enflicken, da m it sie an die Front zurückgeschickt werden könn t en. Aber ich hoffte, selbst zu sterben, und dann wurde m i r klar, d a ß ich Robert d a m it im S t ich ließe, denn Rainer war… nun, das weißt du ja.«
    Sie protestierte nicht gegen das Du; unter den U m ständen war es angebracht. »Ich schwöre, Leben zu retten«, wiederholte er den Beginn des hippokratischen Eides. » A b e r ihres habe ich beendet, und wahrscheinlich das von vielen anderen, denn sie hatte recht. Entschuldige die Heuchelei, Carla. Morgen werde ich m it dir zu je m andem gehen, der… solche Dinge erledigt.«
    Den Rest der Nacht schlaflos zu verbringen war nicht überraschend für sie, aber entgegen ihrer E r wartung brachte die Gewißheit keine Erleichterung. Die W ahl lag im m er noch bei ihr. Gegen Morgengrauen lief sie durch Dr. Gold m anns Haus und hielt jede Uhr, die sie finden konnte, an, denn sie bildete sich ein, sie durch alle Wände zu hören, wie da m als in Hohencre m . Der Vor m i ttag verging genauso quälend, nur daß sie in Dr. Gold m a nns Praxis statt in seinem Haus saß und die Uhren nicht m ehr anhalten konnte. Am schlimmsten wurde es, als der f rühe Nach m ittag sie dann endlich in d as Haus brachte, wo der Arzt, den er nur als »einen alten Bekannten« bezeichnete, solche Eingriffe vorn a hm. Jede einzelne Minute dehnte sich zu einer Stunde, und sie hörte kaum die F r agen, die der Mann ihr stellte.
    In Hohencrem hatte sie, wie jede Schülerin, ein m al durch ein Mikroskop geblickt, um den Querschnitt eines Blattes zu sehen. W i e groß war ein E m bryo im Februar, wenn er, wie sie ver m utete, um den 21. oder 22. Dezember geze u gt worden war? So groß wie ein Blatt? Größer? E i ne Ansam m lung von Zellen, sagte sie sich, noch

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