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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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schulde ihm doch zu m indest einen Na m e n.«
    Ihre Hand in seiner f ü h lte s ich wa r m an, was selten b ei i h r war, zu m al i m W inter. Sie hatte auf dem W eg hierher nicht gesprochen, und auch nicht, seit sie angekom m e n waren, also unterdrückte er den Wunsch, sie von diesem Gedankengang abzubringen.
    »Nein«, antwortete er. »Nein, ich w e iß es noch nicht. Monika und ich können uns auf keinen Jung e nna m en einigen, und bei Mädchenna m en schwanken wir zwischen Eva und Annette.«
    »Charlie«, flüsterte sie. »Genevieve hat gesagt, das wäre im Englischen auch ein Mädchenna m e, und i ch weiß nicht…«
    »Schschsch.«
    Er trauerte m it Carla die ganze Nacht lang um ihr Kind, das nicht existierte, und ließ sie nur in den kurzen Perioden los, in denen sie schlief, unruhig und um sich schlagend. Am M orgen war er es, der der Erschöpfung nachgab, und als er aufwachte, sah er, daß Carla wieder sie s elbst war. Sie trug genau wie er noch die Kleidung vom Vortag, zerknittert und voller Falten, aber ihr Gesichtsausdruck war nicht länger der einer E r trinkenden, als sie sich über ihn beugte und ihm eine Haarloc k e aus der Stirn strich.
    »Zeit zum Aufstehen«, sagte sie. » D u hast einen Film zu retten und eine Ehefrau zu besc hw ichtigen. W i r m üssen nach Berlin zurück. All m ählich«, fügte sie hinzu, und der schwache Versuch, in ihrem sonstigen F or m at zu s c herzen, w a r o ff ensichtli c h, »wird di e ses ständige Hinund Herreisen zwischen Bayern und Preußen zur üblen Gewohnheit, und die Reichsbahn lebt nur noch von uns.«
    Er legte eine Hand auf ihre W ange und spürte in den Fingerspitzen die Ader an ihrer Schlä f e pochen.
    » W ir sind Überlebende. Vergiß das nie.«
    »Das werde ich nicht. Robert, ich sage das nicht so oft, wie ich sollte nein, eigentlich habe ich es noch überhaupt nicht gesagt. Ich könnte m i r nicht vorstellen, ohne dich zu überleben. Versprich m i r, nicht zu sterben, bitte, versprich m i r das.«
    »Ich verspreche es«, antwortete er u nd läc h elte sie an. »Du weißt doch, Magier ist m ein Zweitberuf.«
    Carla legte s i ch wieder zurück. Sie w ollte ihm etwas geben, gleic h bedeutend m it d e m , w a s er für sie getan hatte, doch ihr fiel nur eines ein.
    » W enn du willst«, s agte sie, »dann bleibe ich hier, in Deut s chland. Kohner läßt sich sicher überzeugen.«
    Dies m al war es Robert, der sich über sie beugte und sie prüfend anschaute.
    »Nein«, antwortete er ernst. »Dann würdest du dich für den Rest deines Lebens fragen, ob du es dort nicht hättest schaffen können, und irgendwann würdest du m i r das übelneh m en.« Der Ernst wich aus sein e r Stim m e und m achte der vertra u ten Neckerei Platz, die seine leicht schräggestellten Aug e n noch ein wenig asiatischer wirken ließ. »Geh nach Hollywood, Halef, und wenn du dann zurückkom m st und ich im m e r noch nicht der berüh m teste Regisseur und Schauspieler von ganz E uropa bin, dann veranstalten wir eine Tournee durch die Lande, locken m it deinem Fil m ruhm die Leute an und bezahlen alle Schulden, die ich b is d ahin ge m acht habe.«
    Die Februarwochen, in denen sie ihren Haushalt auflöste, Möbel verkaufte und an ihre Freunde verteilte, nah m en für Carla im m er unwirklichere Züge an. Die Ve r bote bestim m t er Zeitungen dehnten sich aus, nun schon auf Monate, und es gab im m er weniger Blätter, die m an lesen konnte. In der Wehbühne, die noch dazugehörte, stand, daß Regierungspräsidenten, Polizei p räsidenten, Ministerialdirektoren, Landräte und höhere Polizeibea m te, die p a rteilos waren, d e m Zentrum oder der SPD angehörten, s y ste m atisch ihr e r Ä m ter enth o ben und durch Angehörige der NSDAP oder der DNVP ersetzt wurden. Sie wunderte sich nicht, daß i h r Lieblingsbäcker es aufgegeben hatte, sich bei der Polizei zu besch w eren. Er versuchte, sich daran zu gewöhnen und seinen Betrieb trotz der gelegentlichen Anwesenheit von »protestierenden« SA-Männern zu führen. Ihre Bekannten von der pazifistischen Frauenliga erz ä hlten ihr, daß sie Versa mm l ungsverbot erhalten hatten. Im Radio durfte kein P o litiker, der n icht d en beiden Regierungsparteien angehörte, m ehr sprechen, und Hugo, dem sie ihre Jazz p latten ver m achte (eingedenk Monikas T e ndenz, an Schallplatten ihre Gefühle gegenü b er Carla au s zulassen, ve rzic h tete sie darauf, sie Robert zu geben) und der weiterhin im Rundfunk arbeit e te, e rz ä hlte, m an

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