Unter dem Zwillingsstern
ein paar Sachen in den kleinen Handkoffer und nahm den nächsten Zug nach München. Die vielen Stunden im Zug sperrten sie m it ihren Gedanken in ein Gefängnis, und sie bot all ihre Konze n tration auf, um zu entkom m en. Sie holte jeden einzelnen Rollentext, den sie je auswendig gelernt hatte, zurück in ihre Erinnerung, so gut es eben ging, und war entsetzt, wieviel sich nic h t einstellen wollte. Keine Spur m ehr von Prossy oder von Mary, und nur noch sehr wenig von A m alie.
Moors Geliebte darf nur durch Moor sterben. Carlas Fa m ilie d a rf nur durch Carla sterben. W enn ich ein Junge gewesen wäre, lebten sie ver m utlich alle noch. W enn ich nie geboren wäre… und nun bin ich a u ch nicht bes s er als er. Das m u ß es g ewesen sein, was er s i ch gesagt hat: S ie existieren nic h t. Nicht m ehr. Noch nicht.
Ihr wurde übel, und sie konnte gerade noch das Fenster des Abteils aufreißen, ehe sie sich erbrach. Nie m and sonst befand sich in dem Abteil, zum Glück, denn neugierige Blicke und Fragen wären das letzte gewesen, was sie jetzt gebrauchen konnte.
Der Zug ratterte in die Dunkelh e it hinein, und statt Car m illa, die gelernt hatte, m it dem Töten u m zug e hen, s t ellte sich per v erserweise nur ihre Intimfeindin Desdemona ein, das unschuldige Opfer. Grausamer Tod, der nur um Liebe tötet…. Ich kann nicht weinen, hab auch keine Antwort, die nicht zu Wasser würde…
Da sie se h r spät in Mü n chen anka m , hatte sie eigentlich geplant, in einem Hotel zu übernachten und Dr. Gold m ann erst am nächsten Morgen zu besuchen, aber wenn s i e nicht bald einen unwiderruflichen Sch r itt tat, d e r di e … Prozedur in d i e W ege l e it e te, w ü rden s i e die Stim m e n in ihrem Kopf noch in den W ahnsinn treiben. Al s o schlug sie Höflichkeit und Taktg e f ühl in den W i nd und stand um kurz vor Mitternacht auf Dr. Gold m anns Schwelle. Es dauerte eine Weile, ehe er im Bad e mantel und m it zerzaustem Haar öffnete.
»All m ächtiger«, sagte er, und der beobachtende Teil in Carla, der sich nie ganz ausschalten ließ, reg i strierte, daß Kathis sprachliche Gewohnheiten auch auf ihn abgefärbt hatten.
» W as ist denn passiert?«
Zu m i ndest sagte er nicht: » W as ist denn nun schon wieder passie r t«. Der ar m e Martin Gold m ann m ußte si c h m ittl e rweile wünschen, nie von den Fehrs gehört zu haben.
»Es tut m i r leid«, begann Carla, und dann brach sie zu ihrer Beschä m ung bewußt in Tränen aus. S i e hätte früher oder später wohl auf jeden Fall geweint; in den ver g angenen Stunden war es schwerer und schwerer geworden, die Tränen zurückzuhalten. Aber daß sie ihnen ausgerechnet jetzt freien Lauf ließ, war kein Zufall, sondern der Beginn ihres Vor ha bens, bei D r . Gold m ann ihren W illen durchzusetzen. Er rea g ierte, wie sie es vorhergesehen hatte, nahm sie bei der Hand und führte sie durch den Flur in das W ohnz i m mer seines kleinen Hauses. Erst a l s sie auf der Chaiselongue saß, eines seiner Taschentücher in der Hand hielt und m it einem kleinen Schnaps zur Beruhigung versorgt worden war, wiederholte er seine F r age und schloß in besorgtem Ton:
»Es gibt doch hoffentlich keine schlechten Nachrichten von Fräulein Bro d ?«
»Nein, nein, sie ist bereits in Zürich auf Z i m m e r suche, und ich habe zwei Freunden dort die Adresse von der Pension telegraphiert, in der sie jetzt wohnt, da m i t sie nach ihr sehen.«
Dann fiel ihr ein, daß D r . Gold m a nn die beiden ja kannte, und sie erläuterte: »Roberts Freunde, Dieter und Jean-Pierre.«
Dr. Gold m a nn war bei der Feier von Roberts einundzwanzigstem Geburtstag nicht eben überwältigt von den beiden gewesen, doch nun beschä f ti g te ihn m ehr, was Carla, in Tränen a u f gelöst, u m Mitternacht in sein Haus brachte. Sie h o lte tief Atem, hoffte, daß sie so hilflos aussah, wie sie sich fühlte, und sagte:
»Dr. Goldmann, ich… ich bin sch w anger, und ich kann das Kind nicht beko mm en. Ich w e iß, Sie sind kein Gynäkologe, aber Sie m üssen doch je m anden kennen, der Abtreibungen vornim m t. Wenn Sie m i r nicht helfen, dann fällt m i r nichts m ehr ein, als es m it Strick n adeln zu versuchen, und…«
»Um Gottes willen«, u n terb r ach er sie e n ts e tzt, »da m it ve r stü mm eln Sie sich!«
Das wußte sie, und sie hatte es nie ernsthaft vorgehabt, weil sie sicher war, da ß er i h r hel f en würde, aber es kam ihr darauf a n , ihm zu zeigen, wie ernst s ie es m
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