Unter dem Zwillingsstern
nicht von einem W ildfr e m den vergew a lti g t wurde n ?«
Carla schüttelte den Kopf.
»Das dachte ich m ir. Schauen Sie, ich verstehe, daß Sie das Kind jetzt im Mo m ent nicht wollen, und sicher wird Ihnen das einige Monate die Arbeit un m öglich m achen, üb r igens ni cht so viele, wie Sie denken, de n n bei Ihr e r Konstitution werden Sie noch m indestens bis Mai, wenn nicht Juni, auf der Bühne stehen können oder vor der K a m era, was auch immer. Und auch, wenn es zynisch klingt bis dahin haben Sie reichlich Zeit, um e i n Arrange m ent zu treffen. Entweder m it dem Vater oder nun, Sie können das Kind auch adoptieren lassen. Dabei würde ich Ihnen helfen.«
Sie m einte es gut. Aber sie sah, d aß sie n i cht zu Carla d urchgedrungen war. Die junge Frau wandte sich ab, scheinbar, um ihre Strü m p fe glattzuziehen. Als s i e sich wieder erhob und Verena Scheuerle die Hand reichte, zeigten sich entgegen deren Vermutung allerdings n och im m er keine Trä n en.
»Machen Sie keine Dummheiten«, s a gte die Ärztin beunruhigt.
» W enn Sie zu einem Pfuscher g e hen, kann das Ihr Leben tatsächlich ruinieren.«
»Das ist es doch in je d em Fall, oder?« fragte Carla bitter zurück.
»Und Sie haben recht, ich bin ganz allein d afür vera n t wortlich. Auf W i edersehen, Dr. Scheuerle.«
Der naßkalte Februarregen schlug i h r ins Gesicht, und sie hieß ihn willkom m en. Zu m indest bewies er, daß das alles nic h t nur ein Traum war. Sie hatte keinen Schirm bei sich, doch sie verzichtete darauf, sich nach einer Taxe u m zusehen, und lief nach Hause, erst langsam, dann im m er schneller, nicht, um vor dem Regen zu flüchten, sondern um die entsetzliche Taubheit loszuwerden, die sich bereits in der Praxis wie d er über s ie g elegt h atte.
W i e passend der Regen war. Unehe l iche M ü tt e r, uneheliche Kinder und W asser, die vielbeschworene Dreieinigkeit der Leihbibliotheken und Melodra m en. Und es hatte ihr bisher doch gefallen, in Melodra m en zu spielen, nicht w ahr? Der nächste Akt sah vor, daß sie, jeden Gedanken an eine Karriere unter Tränen aufgebend, nach München fuhr und sich Philipp zu Füßen w a rf. Danach gab es ent w eder das Ende einer Versöhnung und des glücklichen Lebens Seite an Seite an der idyllischen Stätte ihrer Kindh e it, und wenn sie sehr viel Glück hatte, kam der neue Reichskanzler eines Tages zum Tee. Oder Philipp wies sie ab, dann gab es wieder zwei Möglichkeiten: einen stilvollen Selbst m ord und ein tragisc h es Begräbnis oder Carla die Aufopferungsvolle, die sich spätestens ab Mai eine neue Stelle suchen mußte, um als erstes das Bußgeld wegen Vertragsbruchs abzuarbeiten, und fürderhin nur zum W ohl i h res Kindes lebte, m u t m a ßlich als Fabrikarbeiterin.
Zum W ohl ihres Kinde s … An das Kind wollte sie jet z t ni c ht denken, in der höhnischen, selbstveracht e nden Tirade, die sie sich hielt, um ihren Entschluß vor sich selbst zu rechtfertigen. Es war noch überhaupt kein Kind da. Es würde nie da sein, und ganz bestim m t nicht, um von wildfre m den Leuten a doptiert zu werden, gegen die ihr Vater vielleicht der vollendetste P ä dagoge war. Sie erinnerte sich an den Fall von dem Kinder m örder, auf dem der Film M basierte, und schauderte. Nein, wenn sie zuließ, daß das Kind existierte, dann würde sie es ganz gewiß nicht no c h m ehr im Stich lassen, als sie selbst im Stich gelas s en worden war. Also dur f te es nicht existi e ren, so einfach war das. Es durfte nic h t wirklic h er sein als ih r e Albträu m e, und es hatte überhaupt keinen Sinn, sich zu fragen, ob es ein Junge oder ein Mädchen war und w i e es aussähe und wie es denken, fühlen, handeln würde.
Es gab kein Kind.
Wenn Eleonore hier gewesen wäre, hätte Carla sie gefragt, ob sie je m anden kannte; zu keiner ihrer anderen F reundinnen hatte sie ein so enges Verhältnis, daß sie ihnen die ganze elende Geschichte anvertraut hätte. Und der einzige Arzt, den Robert kannte, außer Dr. Gold m ann, war gewiß der, der Monika behandelte kaum eine W ahl, ganz abgesehen davon, daß Robert bestim m t noch böse auf sie war wegen des dum m en Streits im Café.
Außer Dr. Gold m ann. Dr. Gold m ann…
Handle gleich, dachte Carla, so schnell wie m öglich, sonst gibst du dem Kind, das nicht exist i ert, Zeit, sich in d e inen Kopf einzuschleichen und fe st zusetzen. Es existiert nic h t, es existiert nicht, es existiert nicht.
In ihrer W o hnung zog sie sich u m , packte
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