Unter dem Zwillingsstern
Gold m a nn nickte und setzte s i ch den beiden gegenüber. Mit einem Blick auf Martina erkundigte er sich, ob sie später darüber sprechen könnten.
» W arum nicht sofort ? « gab Robert zurück, der das fromme Klischee, m an müsse kindliche Ge m üter schonen, für idiotisch hielt, ein Erbe seiner Mutter, die sich ihm gegenüber nie zu einer Babysprache herabgelassen hatte. Und nach ihr e m Tod hatte er zwischen Papa, Dada Gold m ann und Heinrich Fehr Dinge gehört, die er nie hatte hören wollen, also fand er Dr. Gold m anns Ver s uch Martinas wegen etwas irritierend.
»Es ist wieder Post von Carla angekom m en«, setzte er hinzu, » m it ein paar Formularen für dich und e i ner Abschrift des Affidavits, das ihr Bekannter für dich ausgefüllt h a t. Ihr Affidavit ha s t du ja schon.«
Eine der amerikanischen Bedingun g en für die E r teilung eines Visu m s zur Einwanderung war ein in den USA ansässiger B ürge, der nicht nur Zeugnis für den Charakter des Einwanderers ablegte, sondern auch beschwor, finanziell für seinen Unte r halt au f kom m en zu können. Carla hatte dieses Affidavit für Dr. Go l d m ann schon abgelegt, als R o bert s i e zum ersten Mal darum gebeten hatte, aber da sie selbst keine a m erikanische Staatsbürgerin war und einen, wie sich die Botschaft ausdrückte, »Beruf m it unsicheren Einkünften« ausübte, hatte ihre Bürgschaft bisher nichts genutzt.
Also hatte sie je m anden außerhalb der Fil m industrie gesucht und gefunden. Dennoch, soweit Dr. Gold m ann es bisher beurteilen konnte, waren die Aussic h ten auf ein a m erikanisc h es Einreise v i sum noch geringer als die auf ein französisches, und er würde ohnehin lieber in Frankreich leben. Er kannte Frank r eich, er liebte Frankreich, und Käthe befand sich dort, inzwischen legal, wenn auch wieder ohne feste regel m äßige Einkünfte, seit Feuchtwangers alte Sekretärin wieder zu ihm gestoßen war. Er hat t e erwogen, illegal über die Grenze zu gehen, aber die wachsende Zahl der Ausweisungen, die verschärften Bedingungen und Kontrollen K e nnkarten für Ausländer galten inzwischen nur noch für das Depar t e m ent, für das sie au s gestellt worden waren, bei einem Verlassen dieses Departe m ents mußte eine neue Kennkarte beantragt werden schreckten ihn ab. Die Aussicht, als illegaler Einwanderer nach D e utschland zurücktransportiert zu werden…
W ieder fröstelte er. Ich hab vielleicht noch nie geliebt, sang die dunkle Frauenstim m e im Radio, und er wünschte sich ein m al m ehr verzwei f elt die Zeit z ur ück, in der er jetzt m it Robert über nichts Ernsteres als eine Spekulation hin s ichtlich des möglichen Aussehens der Frau, zu der die S tim m e gehörte, gesprochen hätte.
» W as ist ein David ? « erkundigte sich Martina.
»Eine Hilfe zum Verreisen für Dada«, erwiderte Robert, nahm ihr eines ihrer abenteuerlich gestrichenen Brote ab und biß hinein. Martina schaute beunruhigt drein. Im G e gensatz zu ihrem Vater, der kam und verschwand, war Dr. Gold m a nn eine ständige, zuverlässige Anwesenheit in ihrem Leben.
»Ich m ag aber nicht, daß er verreist!« prote s tierte sie.
Dr. Gold m a nn schnürte es die K e hle zusam m en, nicht nur wegen der Vorstellung, sie zu verlassen, sondern auch, weil ihm vor d e m Tag graute, an dem sie den Grund b e griff. No c h zwei Jahre, und sie würde schulpflichtig sein. Anders als in Roberts Kindheit kam ein Privatunterricht nicht mehr in Fra g e, das wurde nicht m ehr erlaubt. Noch zwei Jahre, und sie würde in der Schule lernen, daß er zu einer m i nderwertigen Rasse Mensch gehörte. Jetzt lag ihm das Versprechen wiederzukommen auf der Zunge, aber Robert sprach zuerst.
»Entweder er verreist, oder er kann dir bald keine Bonbons oder Puppen m ehr schenken.«
Martina runzelte die Stirn. Die E r klärung klang vage vertraut; ihre Mutter m einte, daß sie ständig u m z i ehen m ußten, da m it sie weit e rhin ihr Frühstück beka m . »Oh«, sagte sie, dann machte sie sich selbst über ein Brot her. Dr. Gold m ann lächelte schwach.
»Das war sehr m aterialistisch.«
»Aber zutreffend.«
»Robert, wir m üssen die Möglichk e it ins Auge fassen, daß ich nie ein Visum erhalte. Ich w eiß nicht, ob ich dann…«
»Unsinn, du wirst ein V i sum bek o m m en«, warf Robert ein wenig zu schnell ein.
Die Befürchtung, die Dr. Gold m ann schon eine beträchtliche Weile quälte, nahm Fo r m an, und nach einem kurzen Schweigen artikulierte er sie, nach einem
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