Unter dem Zwillingsstern
lbst aussah, als habe sie bereits im Bett gel e gen, in Heinrich Feh r s Arbeitszim m er. I m V o rbei g e h en warf sie einen Blick auf die große S t anduhr im Flur. Es war fast Mitternacht. Der Telefonapparat wartete wie ein schwarzes Ungetüm auf sie. Käthe griff nach dem Hör e r und nannte vorsichtig ihren N a m en. Die Stim m e , die ihr entgegenschall t e, erkannte sie kaum wieder; es war einer ihrer Kollegen aus der Redaktion der Münchner Post, ein guter Freund, den für gewöhnlich kaum etwas aus der Ruhe brachte. Jetzt klang er, als sei er lange ger a nnt, er at m ete stoßweise, und was er sagte, ließ sie gefrieren.
»Käthe, es ist soweit. V or einer Stunde sind sie aufgetaucht und Käthe, sie sind im m er noch bei uns und schlagen alles kurz und klein. Die S etzkästen, die Maschin e n es ist alles kaputt. Und der Otto und noch ein paar andere die haben Glück, wenn sie noch a m Leben sind.«
» W er ? « unterbrach Käthe und zwang sich, ruhig zu bleiben. In Panik zu geraten würde jetzt nie m andem nützen. »Freikorps, Einwohnerwehr oder die Nazis?«
»Die Nazis. Aber sie behaupten, Kahr würde sie unterstützen. Wenn das stim m t , können wir uns a u f tagelange Straßenschlachten einrichten, sobald Berlin reagiert.«
Er at m ete w i eder etwas regel m äßiger. »Ich frag nicht g erne, aber können Alfons, Bert und ich zu Ihnen kom m en? Die haben angefangen, Leute zu verhaften, und ganz ehrlich, nachdem wir aus der Redaktion rausgekommen sind, haben wir Angst, nach Hause zu gehen. Sie wohnen doch bei diesem Lederfabrikanten, den belästigen sie bestim m t nicht.«
Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie Heinrich F ehr auf die Nachricht reagieren würde, daß sie drei rote Zeitungsleute in seiner Villa einquartiert hatte. Zu ihrer Bes c hämung zögerte sie einen Mo m ent. Dann gab sie sich einen Ruck. W enn die drei stürben, würde sie sich das nie verzeihen. Das war ihre Entlassung wert.
»Aber natürlich«, entgegnete sie.
»Danke, Kathi.« Die bajuwarisierte Na m en s form erinnerte sie an Carla. Nun, Carla war inzwischen alt und selbständig genug, um sich weiter h in m it ihr zu tre f f en, wenn sie entlas s en wurde. Ihren Freunden zu helfen bedeutete nicht, das Mädchen im Stich zu lassen.
Als die drei schließlich auftauc h ten, hatte sie Magda bereits geholfen, ein Zimmer für sie zurechtzu m achen. Eine Art sc hw ebende Tollkühnheit hatte sie erfaßt; wenn schon, denn schon, dachte sie und wählte ein Gästezim m e r statt des Kellers oder des Dachbodens. Seine Entlass u ng sollte m a n im großen Stil h e rbei f ühren, wenn sie de n n unver m eidlich war.
Ihren Freunden sah m an die Ereignisse der Nacht an, und sie holte Verbandszeug, während sie ihr berichteten. Das letzte, was sie gehört hätten, sei, daß der Chefredakteur a l s Geisel in den Bürgerbräukeller gebracht worden sei. » U nd da ist er nicht der einzige«, schloß Bert düster. »Einer von den Kerlen hat da m it geprahlt, daß sie alle Linken und alle Juden verhaften wollen.«
»Es hängt alles davon ab, ob die R e gierung tatsächlich kooperiert«, sagte Käthe, schnitt den Verband ab, den sie um seinen Arm gewickelt hatte, riß das Ende entzw e i und verknotete es, »ob die Landespoliz e i sie u nter s tüt z t.«
Und, setzte sie stillsch w eigend hinzu, ob die Bevölkerung auf ihrer Seite ist. Aber das konnte doch nic h t sein. Gewiß, in den letzten Jahren hatte diese obskure Partei hier in München einigen Z ulauf bekom m en, aber besti mm t nicht genügend, um einen Staatsstreich durchzuführen. Sie eri n nerte s i ch an die Revolution vor fünf Jahren, an all die H offnung und die Freude, die sie verspürt hatte. Das w a r das Volk. Nicht ein paar töric h te Stam m tischkrakeel e r, die einfach nationali s ti s che und antise m itische P arolen n ac h brüllten.
Da sie in dieser Nacht ohnehin nicht m ehr schlafen würde und außerdem wissen wollte, was wirklich geschehen war, kleid e te sie sich um und lief, sobald es hell wurde, zum Haus der Hallgartens. Constanze hatte bereits von den Ereignissen gehört und begrüßte sie voll Aufregung.
»Es gibt gute Neuigkeiten«, erzählte sie, aber ihre Finger pochten nervös auf den Rand des Tisches, an dem sie saß. » W ie es scheint, hat unser teurer Landesherr entsc h ieden, daß der einzige, der hier putschen darf, er ist. Er hat Pöhner inhaftiert und die Landespolizei auf m arschieren la s sen.«
»Und die Leute ? « fragte Käthe leise;
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