Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
herab, und Carla dachte m it einem Mal: M e dea! So m üßte Medea aussehen, in der Szene, als sie noch zwischen der Liebe zu ihren Kindern und dem Wuns c h, sie u m zubringen, sch w ankte.
    Fasziniert b lieb s ie wie angewurzelt stehen und betrachtete die Frau, bis diese sie be m erkte und im breitesten Österreichisch wissen wollte, was es da »zu glotzen gab«. Das zerst ör te die Ill u sion, und Carla ke h r te in die erste Klasse zurück. Aber das Bild, wie die Frau dagesessen und auf ihre Kinder herun t ergeschaut hatte, blieb bei ihr und setzte sich in ihrer S eele fest.
    Entgegen i h ren er s t en S pekulationen war der ö s terreic h ische Zweig der Bach m a iers wohlhabend genug, um ihnen einen W agen und einen Chauff e ur zu schicken, der m it Ma r ianne am Bahnsteig sta n d und sie er w artete. Mariannes Gesicht leuchtete auf, als sie ihren Vater sah, aber sie wirkte nicht län g er so glücklich und blühend wie in München, sondern nervös und fahrig. Mit sinkendem Herzen bereitete sich Carla auf einen Ausbruch vor, sobald ihr Vater m it seinem Kirchenboykott herausrückte.
    Auf der Fahrt zu dem Haus der B a ch m aiers in Graz plapperte Marianne d ie g anze Zeit ü ber Nichti g keiten, was so gar nic h t ihre Art war, und Carla fing an, sich zu f r agen, ob sie krank war. Aber vermutlich ha n delte e s sich um die berüh m ten kalten Füße un m ittelbar vor der Hochzeit. Bei all den glücklichen Ehen von unserem Vater ist das kein Wunder, dachte Carla z y nisch. W ar überhaupt je je m and glücklich verheiratet? Roberts Eltern besti mm t nicht, nach alle m , was er erzählt hatte. Dr. Gold m ann hatte in diesem Jahr eine Da m e geheiratet, die sich seinetwegen vorher hatte scheiden lassen, aber Robert konnte sie nicht a u sstehen, und er sagte, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bev o r auch diese Ehe geschie d en werde.
    Beleidi g en d erweise h a tte m an s i e in einem Zimmer m it Philipps kleiner Schwester untergebrach t , einem unsäglich albernen Geschöpf, das angeblich acht Jahre alt w a r, aber sich benah m , als sei es fünf, und bei allen m ö glichen Gel e genheiten kicherte. Carla entschied sich, an dieser leibha f tigen Zu m utung das auszuprobieren, was Robert ihren »Ba s ilis k enblic k « genannt hatte, e in f eindseli g es Starren, das sie benutzte, wenn sie Ayesha spi e lte, d i e H e ldin i h res derz e iti g en Lieblin g sr o m anes Sie. Ayesha war unsterblich, wunderschön und als Sie-der-gehorcht-werden- m uß unangreifbar. Ganz gewiß ließ sie sich nicht von ein e m quengelnden Gör aus der Ruhe bringen. Binnen weniger Minuten t a t der Basiliskenblick befriedigenderweise seine W i rkung; das Balg brach in Tränen aus und verschwand.
    Beim Abendessen sah si e ihren zuk ü n f tigen Schwager Phili p p wieder. Sie war sich noch immer nicht sicher, ob sich Robert in bezug auf Philipp nicht i r rte, a ber nur f ür den Fall, d a ß dem nicht so war, hatte s ie si c h etwas ein f allen lassen. Zuerst übergab sie Marianne ihr Geschenk, weil sie keine Lust hatte, es beim Hochzeitstag unter dem vielen Geschirr und Besteck ertrinken zu lasse n . Sie hatte sich sehr viel Mühe da m it gegeben, und sie wollte sehen, wie Marianne darauf reagierte.
    Marian n e z og den Sc h al m it sei ne n au f gestic k t en Sei d en b l u m en aus dem G e schenkpapier hervor, las die Karte, die Carla beigelegt hatte, und begann zu w einen, während sie ihre Schwester u m ar m t e. Carla legte den Kopf kurz auf Mariannes Schulter, während sie den Druck erwiderte. In solchen Mo m e nten war sie sich sicher, daß sie ihre Schwe s ter lie b te, a ber l e ider hielten sie nicht an, das wußte sie. Früher oder später würde Marianne etwas in ihrer rec h thaberisc h en, m i ßbilligen d en Art sagen, etwas, das eine sc h arfe Entgegnung einfach provozierte.
    Schließlich löste sie sich a u s der U m a r m ung und ging zu ihrem Stuhl zur ü ck, unter de m sie auch Philipps Geschenk deponiert hatte.
    Es handelte sich um eine Sam m lung Gespenst e rballaden. S i e wußte nicht, ob P h ilipp Ge d ic h te m ochte; weder er noch Marianne hatten etwas Derartiges erwähnt. Aber weil er sich den Müden Tod angeschaut hatte und so lange sitzen geblieben war, hielt sie es immerhin für m öglich. Auch diesem Geschenk lag eine Karte bei, und das war ihre eigentliche Überraschung für ihn. Sie beobachtete gespannt, wie er die Ver p ackung e n tfernte, se h r syste m atisch und sorgfältig, wie je m and, der

Weitere Kostenlose Bücher