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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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gesagt, sie ver z ichte auf eine ab e ndliche Mahlzeit. Nach längerem Suchen fand sie noch eine halbvolle Pralinenschachtel in einer Schublade, die sie i h m überließ. Die Pralinen waren bereits hart und alt, aber das küm m er t e ihn nicht.
    »Irgendwann hörst du auf zu wachsen, und dann gehst du auseinander wie Kloßteig«, sagte Carla, und er stichelte zurück, das sei besser, als wie gewisse Leute den weiblichen Suppenkaspar zu m arkieren. Aber ihnen fehlte heute die Konzentration für wirklich gute Beleidigungen. Sie lasen etwas in Carlas Büchern, aber auch das hielten s i e n i cht lange d urch. Als di e er s t en Gäste zu hören waren, warf Carla den Ro m an, in dem sie blätterte, in die Ecke.
    »Ich habe Angst«, flüsterte sie, und dieses Eingeständnis zeigte ih m , wie angespannt sie sein m uß t e. »Ich kann’s nicht, Robert, ich kann’s nicht.«
    »Doch!« Er schnellte von sei n em Platz auf dem Boden hoch und ergriff ihre Hand. Sie durfte ihn jetzt nicht im Stich und allein in der Hölle zurücklassen. »Er hat es ver d ient, das hast du selbst gesagt. Oder willst du ewig nur auf L e h m puppen heru m t r a m peln, während er dich stückweise verschluckt ? «
    Sie riß ihre Hand zurück, aber er sah, wie die Verzweiflung in ihren Augen wieder durch den alten Zorn ersetzt wurde. Dann griff sie zu der Bürste auf ihrer Kommode und begann, sie m it wütenden Strichen durch ihr Haar zu ziehen, bi s es vor E lektri z ität knisterte. Dann begann sie m it der Verwandlung, und j e der Schritt schien sie ruhiger zu m achen. Als sie fertig war, ent d eckte Robert, daß sich ihre Nervosität auf ihn übertragen haben m ußte; angespannte Erwartung erfüllte ihn. Er wollte Carla ihren Plan a u sführen sehen. Aber es war noch m ehr als das.
    »Etwas fehlt noch«, sagte er, griff hinter ihr Ohr und zauberte m it einem seiner alten Taschenspielert r icks die Halskette hervor, die sie vorhin auf der Kommode ausgelegt hatte.
    »Angeber«, gab sie belustigt zurüc k , während er ihr die Kette u m legte, und als er die vertraute Mischung aus S pott und Zuneigung hörte, wußte er, daß er nicht nur gekom m en w a r, um die Schwarze Magie ihrer Kindheit R ealität werden zu lassen. Er war gekom m e n, weil sie seine Freundin war und ihn brauchte.
    Etwas Ähnliches ging ihr wohl auch durch den Kopf, denn s i e sagte leise: » E knad, Mas.« Dann verschwand die W ä r m e a us ihrer Stim m e, und ohne sich länger die M ühe zu machen, sie zu senken, zitierte sie ihren letzten Zauber s pruch für diesen Abend. »Nun, Götter«, sagte sie m it der s arkastischen, überlegenen Stimme Ed m unds aus König Lear, »schirmt Bastarde!«
     
    Sie konnte nicht erkennen, wie vie l e Menschen sich in dem großen Salon befanden, aber das war auch nicht nötig. Ein l e t z tes Mal k n i f f sie die Augen zusammen, um ihren Vater au s zu m achen; er sta n d u m ringt von einem Kreis zigarrenra u chender, untersetzter Männer, die in Gelächter ausbrachen, als er gerade seine Anekdote beendete.
    Carla wartete, bis das G elächter v e rebbte, dann rief sie laut und klar, in der breiten, heiteren Stim m e, die sie seit v i e r Ja h r en n i ch t m e hr gehört hatte:
    »Heini, Schatzerl, is des net a schöner Abend ? «
    Das Gewirr aus Geräuschen erstarb abrupt. Jeder starrte sie an, und zum ersten Mal in i h rem Leben war ihr das nicht unangeneh m , i m Gegenteil, es er f üllte sie m it wilder Freude. Denn was die Gäste Heinrich Fehrs heute abend sahen, war nicht C arla, sondern der Geist eines Mädchens, das mit gerade siebzehn Jahren gestorben war. Sie warf ihr schwarzgefärbtes Haar zurück, lächelte Annis unbeküm m ertes, n a ives Lächeln und ging m it Annis wiege n dem Schritt auf ihr e n Vater zu. A nnis silbernes Kleid war ihr ein wenig zu weit, aber das spielte kei n e Rolle; seit der Zeit, als sie es zusam m en m it dem Sch m uck und all den Sch m inkutensilien aus Annis Zim m er geholt hatte, hatte sie gelernt, das m it e i n paar Taschentüchern und Stecknadeln zu überspielen. Sich die Augenbrauen so zu zupfen, daß sie wie die Annis geschwungen waren, war sch m erzhaft gewesen, aber der schwarze Tuschstift, der die I l lusion vollendete, kühlte das Brennen auf ihrer Haut. Mit Rouge und L i ppenstift ihr Gesicht et w as breiter erscheinen zu las s en war dagegen kinderleicht, sie hatte es schon öfter vor dem Spiegel geübt. Aber am wichtigsten war, daß sie Carlas Unsicherheit völlig hinter sich l a ssen

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