Unter dem Zwillingsstern
»Und weißt du ich bin froh, daß…«
»…daß es jetzt entschieden ist«, v o llendete er den Satz f ür sie, denn er e m pfand das gleiche. Sei n e Müdigkeit war anstec k end; auch Carla gähnte. Aber es dauerte noch lange, bis sie schlafen konnten.
Seit dem Anruf aus Lubeldorf s t and Martin Gold m ann Höllenqualen bei der Vorstellung aus, was all e s m it Robert passiert sein konnte. Zunächst w ollte er sei n e Ter m ine für den Tag absagen und sich in den nächsten Zug gen Norden set z en, aber dann sagte er sich, daß Robert, wenn er weggelaufen war, vielleicht zu ihm nach München kom m en würde. Er hatte keine Ahnung, wo sich Rainer gerade befand, und machte auch keinen Versuch, es herauszufinden. Der Mann würde keine Hilfe sein und wie üblich nur Schaden anrichten. Er hatte es nicht verdient, Roberts Vater zu sein, genausowenig, wie er Barbara verdient gehabt hatte.
Als seine S p rechstun d e n hilfe ihn herausrief, setzte sein Herz einen Mo m ent aus; er befürc ht ete, e i nem Polizisten zu begegnen, der ihm m itteilte, man habe Robert irgen d wo tot aufgefunden. Er bat seine Patientin hastig, ihn kurz zu ent s chuldigen. Das erste, was er e m pfand, als er Robert im Vorzim m er neben dem kleinen Schreibtisch der Sprechstundenhilfe stehen s a h, war Erleichterung und Freude. Dann stieg Zorn in ihm auf.
» W as«, sagte Dr. Gold m ann, um Beherrschung ringend, »hast du dir dabei gedacht ? «
Die Kleider des Jungen wirkten verknautscht, aber ansonsten erfreute er sich offensichtlich be s t er Gesundheit; er wirkte n och nicht ein m al unausgeschlafen. Nur die braunen Augen, Barbaras Augen, schauten gequält, und etwas von Martin Goldmanns Zorn sch m olz bereits.
»Tut m i r leid«, m u r m elte Robert und schlang sich unbewußt die Träger des Beutels, den er in d e r Hand hielt, m ehrfach um sein Handgelenk. »Es war ein Notfall. Könnte Carla heute nacht bei dir schlafe n ?«
Von dieser unerwarteten, zusammenhanglosen Frage überrascht, runzelte Dr. Gold m ann die Stirn.
»Carl a ? W illst du da m it sagen, daß d u Carlas w e gen…?«
Er hatte die Beziehung der bei d en immer als unschuldige Kinderfreundschaft gesehen, aber m it einem mal stiegen entsetzliche Möglichkeiten vor ihm auf. Sicher, sie waren noch sehr jung, aber er selbst hatte in Roberts Alter ber e its seine ersten Erfahrungen gesa mm elt, wenn auch gewiß nicht m it einem gleichaltrigen Mädchen. Er bedeutete Robert, ihm i n das kleine Labor zu f olgen. Seine Patie n t in und ihre Krampfadern würden noch etwas warten m üssen.
»Robert«, sagte er, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, »ihr beide habt doch nicht etwa bitte sag m i r, daß C a rla nicht schwanger ist!«
Robert sc ha ute erst aufrichtig v erwi r rt drein, dann lachte er. Es war ein wenig seltsa m , das volle, tiefe Lachen eines Mannes aus seiner Kehle zu hören; er wurde wirklich zu schnell erwachsen.
»Nein«, japste Robert, nachdem er wieder zu Atem gekom m en war, »nein, ganz bestim m t nicht! Du m eine Güte, das m uß ich ihr erzä h len!«
Ernst geworden, fügte er hinzu, während sich Dr. Gold m ann erleichtert die Schweißperlen von der Stirn tupfte: »Aber sie steckt in Schwierigkeiten. Bitte, Dada, sie k a nn heute nacht nicht m ehr bei sich zu Hause bleiben.« Etwas bosh a ft schloß er: » D eine Frau hat sicher nichts dagegen.«
Die spontane und anhaltende Abneigung, die der Junge gegenüber Hetty gefaßt hatte, bekümmerte Martin Gold m ann, aber er verzichtete darauf, jetzt darauf einzugehen.
»So, wie die Dinge nun ein m al li e gen«, entgegnete er kopfschüttelnd, » w ird ihr Vater das ganz bes t im m t nicht erlauben, und er ist durchaus imstande, m ich bei der P o lizei anzuzei g en. Außerdem wäre ihre Erzieherin wohl die geeignetere Person.«
Das spröde Fräulein Brod, das ihn immer so an die Mädchen erinnerte, m it denen er in seiner Jugend bei F a m ilienfeiern hatte tanzen müssen, war ihm er s t k ürzlich wi e der während eines Spaziergangs im Englischen Garten begegnet. Sie hatte etwas bedrückt ausgesehen, und weil er sich seit der gemeinsam bestandenen Gefahr ein wenig für sie verantwortlich fühlte, lud er sie zu einer Tas s e Kaffee ein. Bei dieser Gelegenheit hatte er von ihrer Entlassung erfahren und war in der Lage gewesen, ihr bei ihrer W o hnungssuche zu helfen.
»Nach heute abend m acht ihr Vater so was nicht m ehr«, entgegnete Robert etwas kryptisch und fügte unlogischerweise
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