Unter dem Zwillingsstern
war entweder die großarti g ste Geschichte oder die unve r schä m teste Schwindelei, die eine S chülerin dieses Internates je von sich gegeben hatte. E ine ehrfürchtige Schweige m i nute trat ein.
»Sag m al was auf russisch«, beharrte die Antwolfen m i ßtrauisch.
»Znag rehcis thcin, eniem ebei l «, erwiderte die Fehr, »doch es quält m i ch, diese Sprache zu sprechen die E r innerungen o M a muschka!«
Sie warf sich auf ihr Kissen und s c hluchzte erneut. Dann richtete sie sich wieder auf, fuhr sich m it der Hand über die Augen und wisperte m it einer Aura huldvoller Größe: »Aber ich bin sicher, euch kann ich m e in Leben anvertrauen. Ihr würdet mich nie an diese bolschewistischen D ä m onen verraten.«
Einige glaubten ihr noch im m er n i cht, doch sie wagten nicht, das laut zu sagen, denn als kom m unistische Sy m pathisa n t en w ollten sie nicht gelten. Andere schwankten. Gewiß, sie war seltsa m , anders als nor m ale Menschen, und ihre Geschichte würde so m anches erklären. Sie benahm sich auch, als sei sie um Jahre älter; das gefärbte Haar, die Diskrepanz zwischen W ohlhabenheit und mangelndem Besuch, ganz zu schweigen von Fahrten n a ch Hause… Vier der Mädchen schließlich wurden sofort zu glühenden Anhängern der entthronten Großfürstin, der das Schicksal so übel m itgespielt hatte. Die Antwolfen m achte einen letzten Versuch, den Zauber zu brechen.
»Und wer«, beharrte sie, »ist der Ju n ge, an den du schreibst?«
Da keine von ihnen m it einem Jungen korrespondierte, interessierte die Antwort Überzeugte, Schwankende und Skeptikerinnen gleicher m aßen.
»Das ist Cousin Bobby, ihr wißt schon, aus der hessischen Linie.« Die m eisten erinnerten sich vage, daß die verstorbene Zarin deutscher Herkunft gewesen war, die Tochter des Großherzogs von Hessen, und jede Menge englische Verw a ndte gehabt hatte, also nickten sie alle wei s e. »Sein Vater ist lei d er Kyrills eng s ter Berater, und Vetter Kyrill b eanspruc h t ja den Th r on für sich, für den Fall, daß die Kommunisten je ent m achtet werd e n. Also ist es wichtig f ür Kyrill, daß keiner von uns recht m äßigen Erben m ehr am Leben ist, obwohl m eine liebe Babuschka m i ch längst anerkannt hat. Bobbys Vater hat ihm verboten, m i ch zu heiraten, a l s o m üssen wir in a ll e r Hei m lichkeit m itein a nder in Kontakt tr e t en, üb er e i n e D e ck ad r esse. E s i st ha rt , getren n t zu s ein, aber ei n es Tages wird die Liebe siegen!«
Das war so ro m antisch, daß m ehreren der jüngeren Zuhörerinnen die Tränen in die Augen stiegen. S i e schnieften, was m an in der beeindruckten Stille deutlich hörte.
»Darf ich dir die Hand küssen ? « fragte die M a ier, die bei der Schillersc h en Bastar d - Stelle m itgelac h t hatte, bittend, denn sie glaubte, etwas gut m achen zu m üssen.
» W enn du möchtest«, sagte die G r oßfürstin gnädig und reichte sie ihr. »Aber ich m öchte euch alle b i tten, m i ch genau wie eine von euch zu behandeln. Die Zeit der Privilegien ist vorbei.«
Lieber Robert wie geht es Dir? Mir geht es gut. Besonders der Biologieunterricht ist interessant. Gerade nehmen wir die Galläpfel durch. Außerdem übe ich mich in französischer Konservation, die… Lieber Sam ich hoffe, Du erinnerst Dich noch an die Sache mit der unsichtbaren Tinte aus dem Grafen von Monte Cristo, sonst wirst Du nie mehr als die gestelzten Pflic h tbriefe lesen, die man uns hier schreiben läßt. Inzwischen ist das L eben hier erträglich geworden. Anfangs dachte ich, ich werde verr ü ckt, mit zwanzig fremden Leuten in einen Saal gesperrt. Du hast e i n Riesenglück, nur mit einem zusammengekett e t zu s e in.
Weihnachten. Ja, es w ar genauso für mich. D ein Paket habe ich übrigens nur teilweise bekommen (zwei von den Zeichnungen ruhen jet z t noch v e rgraben im Archiv, ve r mute ich ) , in dieser Zensurbehörde achten sie nämlich darauf, was man als weibliches Wesen sehen und lesen d arf. Dito f ü r Kathis P ä ckchen. Aber sie war so schlau, ihren Anhänger in Zei t ungspapier zu wickeln, natürlich mit einem ihrer Artikel darauf, und der (über den Hunger in Rußland, ein Spendenaufruf) brachte mich auf eine geniale Idee. Sei so gut und schreib mir das nächste Mal e i nen glühenden Liebesbrief (mit unsichtba r er Tinte, ve r ste h t sich ) . Du bist der heimliche Verlobte der Großfürstin Anastasia und darfst a u ch als Graf Bobby unterschreiben. Zuerst dachte ich, sie würden m i
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