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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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bat, nicht für das, was er ihnen angetan hatte, sondern für das S chicks a l i h r e r Mütter.
    »Aber die Toten verzeihen nicht«, s a gte sie, ehe sie m erkte, daß sie laut gesprochen hatte.
    »Ja, ich weiß«, entgegnete Ph i lipp, und Carla dachte, daß es ihm jedes m al, wenn sie sicher war, ihn als kalten O pportunisten eingeordnet zu haben, gelang, sie aus dem Konzept zu bringen. »Bist du sicher, daß du da m it leben kannst ? «
    Sie löste ihren Blick von dem sei n en und starrte auf ihre F ußspitzen. Eine Haarsträhne f iel i h r ins Gesicht und legte sich auf ihren Mundwinkel. Da sie sich nicht z u traute, zu sprechen, ohne wie ein Kind zu klingen, nickte sie nur, obwohl es nicht stim m te.
    Mit einer unpersönlichen Geste str i ch Philipp ihr die Haarsträh n e aus dem Gesicht; er stand noch weit genug von ihr entfernt, daß er dazu seinen A r m in voller Länge ausstrecken mußte und sie doch nur m it den Fingerspitzen berührte. Dann drehte er sich um und ging.
    Carla setzte sich abwesend auf den Tisch zwischen den zwei Stühlen, die hier für Besucher aufgestellt worden waren. Um nicht an den sterbenden Mann in München denken zu m üssen, überlegte sie, warum Philipp den ganzen weiten W eg hierher g e kom m en war. Nicht Marian n es wegen, de n n Ma r ianne wollte sie nicht s ehen. E r m ochte ihren Vater nicht. W ar es nur die K onvention, die besagte, daß Kinder am Totenbett i h res Vaters zu erscheinen hatte n ? Die Hoffnung, den Skandal so etwas zu dä m p fen, der m u t m aßlich auch ein Problem f ür seine F a m ilie darst e llt e ?
    Es nützte nichts; sie konnte sich nicht konzentrieren. Ein B ild aus ihrer Kindheit kam zu ihr zurück; ihr Vater, ehe die Gicht ihn plagte, wie er ihr g utgelau n t den Flohwalzer vors p ielte, um sie zum Lachen zu brin g en. Das war ei n e W oche, ehe er sie wie d er zwei Mo n ate lang völlig ign o rierte. Sie hätte wiss e n m ü ssen, daß er nicht sterben konnte, ohne sicherzugehen, daß sie es wußte.
    Nie zuvor war ihr aufgefallen, daß es in Hohencrem so viele Uhren gab. Ihr Ticken und Pochen verfolg t e sie durch das ganze H aus. Sie flüchtete hinaus auf den Schulhof, doch auch das nützte nichts. Dort stand groß und breit die Sonnenuhr m it ihrem tückischen wandernden Schatten. Schließlich hielt sie es nicht m ehr aus und bat die Direktorin, ein Ferngespräch führen zu dürfen.
    »Das kommt sehr teuer«, sagte d i ese, »und außerdem ist es nur für Not f älle ge s tattet.«
    »Ich m öchte m eine Schwester a n ru f en und fragen, wie es m ein e m Vater geht.«
    Die Direkt o rin, die von Philipp s el b stver s tän d lich über den Grund seines Besuches informiert worden war und die Haltung der jungen Fehr im extre m sten Gr a d unnatürli c h fand, nickte beifällig ob dieser Rückkehr zur Nor m alität und zog sich sogar f ür die Dauer des Gespräches z u rück, nach d em Carla d er Ver m ittlung eine Münchner Num m er angegeben hatte. Auf diese W eise entdeckte s i e nie, daß es sich nicht um Marianne Bach m aiers Anschluß handelte.
    Während sie auf die Verbindung warte t e, kam es Carla in den Sinn, daß sie v e rm utlich zu n ächst m it d e r ihr u n bek a nnten Frau Gold m ann reden m ußte, d e m Drachen, wie R o bert sie nannte, denn Dr. Gold m ann befand sich um diese Tage sz eit sicher n och in seiner Praxis. Als sich dennoch eine Männersti mm e m eldete, sagte sie erleichtert:
    »Dr. Goldmann, hier ist Carla. Bitte kann ich m it Robert sprechen ? « Am anderen Ende herrschte kurzes S chweigen, dann erwiderte Dr. Gold m ann: »Robert geht es nicht gut, Ca r la. Sein Vater i s t geste r n gestorben, u nd er ich mußte ihm ein Beruhi g ungs m ittel g eben. Er schlä f t jet z t . «
    Carla verstand zunächst »dein Vat e r«, daher dauerte es etwas, bis Dr. Gold m a nns Satz für sie einen Sinn ergab. Dann wurden ihre Knie weich, und sie lehnte sich gegen d e n riesigen, wuchtigen Schreibtisch der Direktorin, auf dem das Telefon stand. Trotz der durchweg rationalen E rziehung, die ihr Käthe hatte angedeihen lassen, und den wütenden Ausbrüchen ihres Vaters gegen »die Pfaffen« glaubte sie im Innersten an Gott, den Teufel und die Magie. Sie hätte wissen müssen, daß Roberts Vater ebenfalls im Sterben lag, daß ihre Flüche sich zur gleichen Zeit erfüllten. A b er das kon n te sie Dr. Gold m ann natü r lich n i c ht er z ählen.
    »Bitte«, s agte sie, »kön n en Sie Robert…«
    Ihr fiel gerade noch rechtzeitig ein,

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