Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
daß Robert sie nicht zurückrufen konnte, ohne ihre Lüge betre f fs ihrer Schwester aufzudecken, und sie verstum m te.
    »Du m eine Güte«, sagte Dr. Gold m ann abrupt, » das habe ich völlig vergessen. E s tut m i r leid wegen deines Vaters, C arla.«
    »Ist er tot ? « Sie be m ühte sich, r e gel m äßig zu at m en. Das alles passierte einer Fre m den. »Philipp h a t vorhin gesagt, er sterbe.«
    »Bist du denn nicht hier in Mün c hen ? « fragte Dr. Gold m ann verwundert zurück, dann räusperte er sich und m einte verlegen: »Nein, natürlich nicht. Ich habe auch nur gehört, daß er im Sterben liegt, Carla, aber wenn du möchte s t«, m ittlerweile hatte seine Sti mm e wieder die behutsa m e Freundlichkeit, m it der er sie gewöhnlich anredete, »dann werde ich m i ch erkundigen und rufe dich dann zurück.«
    Sie dankte ihm und gab ihm Adresse und Telefonnum m er des Internats. W er konnte wissen, was er gedacht hatte, als Robert sie da m als zu ihm brachte, in Annis Kleid und völlig durchgefroren, denn sie waren mit dem Fahrrad durch die Dez e m bernacht geflüchtet. Auf jeden Fall etwas Har m l oseres als die Geschichte, die er inzwischen zweifellos k annte. Aber er war i mm er nett zu ihr gewe s e n , Ihr Gedächtnis r e ihte Satz fe t z en an Sat z fetzen a n eina n der, währe n d sie darauf wartete, daß die Direktorin z u rückkehrte oder das Telefon wieder schellte. Du bist doch ein kluges Mädchen… Geh auf dein Zimmer… Nun, Götter, schirmt Bastarde.
    »Nun, Fehr?« fragte die Direktorin für ihre Verhält n isse taktvoll.
    »Meine Schwester schläft gerade. Sie ist völlig erschöpft. Aber das Dienst m ädchen hat gesagt, der Arzt ruft gleich zurück. Sonst wollte sie m ir nichts sagen.«
    Eine Viertelstunde ge m e insa m en W a rtens folgte, bis die Direktorin sie fortschickte und sie versprechen ließ, in Rufweite zu bleiben. Es dauerte eine weitere Stunde, bis sie wieder Dr. Gol d m anns Stim m e am Telefon hörte.
    »Er lebt noch«, sagte er, »aber der Arzt, der ihn behandelt, m eint, es kann eigentlich nur noch bis m orgen abend dauern.«
    Natürlich hatte er bei seinen Kollegen herumfragen m üssen; Marianne würde sich besti mm t weigern, m it ihm zu sprechen.
    »Danke«, entgegnete sie.
    Als gehöre sie einer anderen Pers o n, beobachtete Carla ihre Hand dabei, wie sie den Hörer auflegte, bis ihr einfiel, daß sie vergessen hatte, noch ein m al nach Robert zu fragen. Ein Beruhigung s m ittel. Robert würde ihm das übelneh m en, denn es eri n nerte zu se h r an seine Mutter. Ob wohl irgend je m and daran gedacht hatte, Anni zu beruhigen, ehe m an sie umbrachte? Die Gest a lt, die in e i n e r ihr e r f r ühesten E rinnerungen stürzte und sich m it einem lauten, häßlichen Knacken den Hals brach, war nicht ruhig gewesen. Sie hatte geschrien, während sie fiel.
    Die Direktorin fragte sie wieder etwas, doch Carla konnte sie nicht m ehr hören. Sie ließ das Direkto r enzim m er hinter sich und w anderte hoch, Treppe um Treppe, bis sie in den leeren S chlafsaal ka m. Dann erinnerte sie sich, daß sie sich erst ordnungsgemäß waschen mußte, ehe sie ihr Nachthe m d anzog. Es war zu hell für die Nacht, selbst i m Som m er, aber das störte sie nicht. E i ne der beiden Lehrerinnen, die gleich d er Direktorin im Internat geblieben waren, fand sie schließlich im W a s chrau m , wo sie sich m it einer Bürste feuerrot geschrubbt hatte. Der T adel erstarb ihr auf den Lippen, als sie sah, daß Carla an einigen S t ellen bereits blutete.
    Als sie, verbunden und eingecre m t, in ihrem Bett lag, konnte sie im m er noch nicht schlafen. Das W asserrauschen hatte das allgegenwärtige Ticken eine Zeitlang übertönt, aber nun kehrte es doppelt so laut z u rück. Die Plasc h i n ski hatte i h r einen kleinen Becher m it etwas Alkoholischem darin zu trinken g e geben, wohl auch ein »Beruhigungs m ittel«. Plötzlich erschien ihr der Begriff so ko m i sch, daß sie zu lachen begann und nicht m ehr a u fhören konnte, bis ihr die Brust weh tat. Dann sank endlich eine wohltätige Dunkelheit auf sie herab und schützte sie vor den Uhren und dem Glassplitter in ihrem Herzen.
     
    Der einneh m ende junge Mann, der sich der Direktorin vorstellte und sie m it einem Handkuß begrüßte, hatte etwas Beunruhigendes an sich, auf das sie ihren Finger nic h t legen konnte. Es waren nicht seine tadellosen Manieren, m it denen er zuerst ein paar taktvolle W orte über den Verstorbenen äußerte, ehe er ihr

Weitere Kostenlose Bücher