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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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ihr stetes, verläßliches Da-Sein. Aber Kathis Bes u ch war ihr genauso verboten wie der von jedem anderen, das hatte zu den Auflagen gehört, die ihr Vater der Schule gestellt hatte.
    Als die Direktorin sie m itten in d e n Som m erferien zu sich rief und ihr m it sehr ernstem Gesicht ankündi g te, sie habe Besuch, glaubte sie daher zu wissen, welc h e Nachricht sie erwartete. Sie horc h te in sich hinein und stellte m it einer Art dumpfer Verwunderung fest, daß sie nichts e m pfand, weder Triu m ph no c h Trauer. Dann straffte sie sich und ging in das Besucherzim m er.
    Philipp stand dort am Fenster, nic h t Marianne, das war das erste, was gegen ihre Ver m utung sprach. Er trug w i eder seine Unifo r m, und sie sa gt e unwillk ü r lich: »Ziehst du die immer an, wenn du zum ersten m al irgendwohin kom m st ? «
    Bis auf sei n en Antritts b esuch in München hatte sie ihn nä m lich nur noch in nor m aler Zivilkleidung erl e bt. Er zog die Brauen hoch und erwiderte trocken: »Meistens. Es kommt auf den Rah m en a n, in dem ich m i ch bewege. W i e ich sehe, hat m an dir i mm er noch keine Manieren b eigebracht.«
    Carla ver s c h ränkte d ie Ar m e hinter dem Rücken, die Finger um die Ellenbogen gelegt, um die Verlegenheit zu überspielen, die in ihr hochstieg, denn sie wußte nicht, wie sie ihn begrüßen sollte. Sowohl ein Händeschütteln wie auch ein verwandtschaftlicher Kuß konnten alle m öglichen Erinnerungen m it sich bringen, und ein Knicks wäre m ittlerweile wirklich l ä cherlich g e wesen. Sie s pürte d en g r auen, billigen Bau m wollstoff, etwas dünner an den E llenbogen, und fragte sich, wie sie m it d e m roten Haa r ansatz und den schwarzen Spitzen und der Schul m ädchenuniform für ihn wohl a ussah. Ob e r wußte, was die sc h warze Farbe bedeute t e? Ver m utlich. Man hatte ihm und Marian n e sicher sä m tli c he Einzelh e iten erzä h lt. Sie f röstelte trotz des war m en Sommertages, doch sie w i c h seinem Blick nicht aus.
    Nach einigen Sekunden fragte er harsch: »Nun, willst du nicht wissen, warum ich hier bin?«
    »Ich weiß, warum du hier bist«, entgegnete Carla tonlos. »Mein Vater ist gestorben.«
    Philipp schüttelte den K opf, und etwas wie ein Sprung durchfuhr den gläsernen Schutzwall, den sie um sich gebaut hatte, und trieb ihr einen Splitter ins Herz.
    »Er liegt im Sterben«, sagte Philipp, »aber er ist noch nicht tot. Er möchte dich noch ein m al sehen. Marianne ist bereits bei ih m .«
    Ihre Augen sch m erzten von dem h e llen Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel und dafür sorgte, daß P h ilipp sich sc harf wie ei n e Statue vor einem Rah m en abzeichnete. Carla schüttelte den Kopf.
    »Ich kann nicht«, antwortete s i e und hörte m ehr, als daß sie es spürte, das Pochen ihres Herzschlags.
    Philipp m achte ein paar Schritte a u f sie zu und schützte sie so vor dem Sonnenlicht.
    »Das war k eine Bitte. Du wirst d e ine Sac h en packen und m it m ir kom m en.«
    W ieder schüttelte sie den Kopf. »Ne i n.«
    Sie setzte nichts hinzu, aber er war klug genug, um zu begreifen, daß er sie nicht zwingen konnte. Selbst wenn er sie gewaltsam bis in das Auto schleppte, m it dem er gekommen war, und sie während der langen Fahrt nach München keine G elegenheit zur Flucht fand, wäre es zu de m ü t i gend, sie schreiend und protestierend bis zum Krankenbett ihres V a ters zu ze r r e n. Er ließ seinen Befehlston fallen.
    »Nach de m , was du getan hast, ist es ein W under, daß er dich überhaupt noch sehen will. Wenn es dein W unsch war, ihn in München un m öglich zu m achen das hast du erreicht. Marianne und ich waren die ersten B esucher seit… dem Ereignis. Das Personal m ußte selbstverstän d lich auch ausgetausc h t werden. Meinst du nicht, du sollte s t dich entschuldigen, ehe er stirbt?«
    »Bei dem Personal?« gab sie schneidend zurück. Er hob die Hand, als wolle er Carla ohrfeigen, ließ sie jedoch wieder sinken.
    » W ill M a ri a nne auch, d aß ich kom m e?« f ragte Carla p löt z lich u n d verzog d en Mund zu einem bittere n , kleinen Lächeln, als er sich m i t der Antwort einen Mo m ent zu lange Zeit ließ.
    »Marianne versteht, warum ich es g e tan habe, und das hält sie nicht aus«, sagte Carla, »weil sie ger n e dasselbe getan hätte. Aber sie h a t nicht genügend Mut, sonst wäre s i e jet z t auch ni cht bei ih m . «
    Sie konnte sich das Ganze nur zu g u t vorstellen: der sterbende Riese, der seine beiden Töchter um Ve r zeihung

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