Unter dem Zwillingsstern
gepreßt zu fühlen, zu spüren, wie er sich unter ihr und über ihr bewegte, verwirrte sie etwas. Da s i e der sterbende Rasputin war, gab sie schließlich nach, stieß noch einen letzten m arkerschütternden Schrei aus und lag dann still.
»Du bist ja völlig v e rr ü ckt!« s tieß d ie Antwol f en hervor, die immer noch unter ihr lag, schwer at m end. Die übrigen Mädchen applaudierten, bis die Maier, die zum W achdie n st an d e r Tür ver u rt ei lt wor d en war, die Schritte der diensthabenden Lehrerin auf d e m Gang hörte. Bis die Plaschinski, angelockt von Carlas Schrei, die Tür öffnete, lagen s i e alle wieder in ihren Betten.
» W ir hätten deinetwegen alle bestraft werden können, wenn es die Oberin ge w esen wäre«, sagte d i e Antwolfen wütend, als die Plaschinski verschwunden war.
» W as soll’s«, entgegnete Carla a c hselzuckend. »Das ist der Fluch des Rasputin.«
Ihr vierzehnter Geburtstag kam und ging, ohne von je m andem be m erkt zu werden, aber das m achte nichts, denn bald danach erhielt sie eine Rolle in der nächsten Schulaufführung. Sie kam nicht u m hin, die Unterschiede zu Roberts Schule festzustellen; hier konnte keine Rede davon sein, einem Schüler die Leitung zu übergeben, die Deutschlehrerin dirigierte das Geschehen. Außerdem wurde alles aus dem Text gestrichen, was auch nur im entferntesten anzüglich klang. Da es sich um eine Aufführung d e s Sommernachtstraums handelte und Carla den Puck spielen durfte, traf diese Zensur vor allem ihren Text. Trotzde m , sie hatte die beste Rolle, obwohl sie argwöhnte, daß sie das nicht nur ihren Gedichtsdekla m ationen, sondern auch ihrem kurzen, scheckigen Haarschopf ver d ankte, der sie ohnehin wie einen Clown aussehen ließ. Die jungen Liebenden wurden nä m lich ausnah m slos von den hübschesten Mädchen verkörpert, ganz gleich, ob diese Talent hatten.
Sie hatte Abbildungen von Gertrud Eysoldt in Max Reinhardts berüh m ter Inszenierung gesehen und k ä m p fte m it der Deutschlehrerin daru m , sich das Gesicht genauso be m alen zu dürfen. Am Ende wurde ihr eine kohlschwarze U m randung der Augen zugestanden, aber nicht viel mehr. Aber all das m achte nichts. Als s ie in der Aula stan d , wo m an eine Tribüne aufgebaut h a tte, vor dem Rest der Schule und den herbeigereisten E l tern, dachte s i e n i cht da ra n , d aß ke i ner d er Menschen, die ihr etwas bedeuteten, heute a b e n d hier war. Sie wußte nur, daß sie endlich zu Hause war, dort, wo sie hingehörte.
Es brach Carla fast das Herz, den S chluß m onolog zu sprechen, und sie ließ etwas von ihrer eigenen Tra u er in Pucks Fröhlichkeit einfließen, als sie begann: »Wenn wir Schatten Euch beleidigt, o so glaubt und wohl verteidigt sind wir dann! -, Ihr alle schier habet nur geschlummert hier…«
Zurückzukehren in d en Alltag und die Lektionen m it ihren ständigen W iederholungen schien ihr plö t zlich unerträglich. Es würden Monate bis zur nächsten Aufführung vergehen, endlose Monate voller Kerker und Verbannung. »Nun gute Nacht! Das Spiel zu enden, begrüßt uns mit gewognen Händen!«
Als der Beifall anbrach, kä m p fte sie m it den Tränen und lief nach ihrer Verbeugung von der Bühne in die Toilette, um weinen zu können, ohne gesehen zu werden. Dort fand sie die aufgebrachte Antwolfen, die Oberon gespielt hatte.
»Um H i mmels willen, Fehr, was m achst du hier? Die rufen nach dir! Komm sofort zurüc k !«
Sie ließ sich von der An t wolfen w i eder auf die Bühne ziehen, ohne in dem Nebel aus Kurzsichtigkeit u nd Tränen wirklich etwas zu sehen. Aber das rhyth m ische Händeklatschen erreichte sie, die Rufe, und daraus flocht sie sich eine Brücke über die Ödnis, die vor ihr lag.
Anhängerinnen waren nicht das g l eiche wie F r eunde, und Carlas Brie f e an R obert wur de n im m er länger. Kät h e f ehlte i h r n o ch m ehr, denn Käthe hatte sie, anders als R obert, s eit v i elen Jahren an fast jedem Tag ihres Lebens begleitet. E rst jetzt entdeckte sie, welch einen Unterschied es m a c hte, von je m and e m unterrichtet zu werden, der einen zum Denken er m utigte, d e nn die Lehrerinnen hier waren nur daran interessiert, daß m an s e ine Lektio n en ric h tig wi e derholte. Ihr fehlten die Stunden und noch m ehr die Gespräche und Kathis enthusiastisches Gesicht, wenn sie von dem K a mpf um das W ahlrecht für Frauen erzählte, die M i schung aus Mißbilligung und Belustigung, die sie zeigte, wenn Carla sie neckte einfach
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