Unter dem Zwillingsstern
T yrannei, den ein weniger herausragender Schauspieler gewiß nie entdeckt hätte«, »eine fesselnde Charakterstudie«.
Oh, es war schwer, sie nicht ins F e uer zu werfen. Doch sie las jeden einzelnen Artikel wieder und wie d er. Es verletzte sie, daß Robert sie nic h t ei n geladen hatte. Selbstv e rständlich wäre eine Reise in die Schweiz teuer gewesen, doch sie hätte sie sich geleist e t, um seinen ersten Au f t r itt zu e r leb e n. Und w i e ähnlich es ihm sah, ge r ade, wenn sie glau b te, auf dem besten W eg zu sein, den m an in ihrem Alter beschreiten konnte, zu de m onstrieren, daß er noch viel spektakulärer anfangen konnte. An der Spitze beginnen? Robert hatte Ausbildung nicht nötig, nein, Robert begann gleich m it einem Triu m ph.
Es war kleinlich, eine solche Eifersucht in sich aufkom m en z u lassen, und es erinnerte sie unangenehm an das, was Käthe über ihr Bedürfnis gesagt hatte, m it Robert zu wetteifern. Aber sie k o nnte nic h t anders. Gleichzeitig e m pfand sie e i nen war m en, glühenden Stolz; er war ihr bester Freund, ihr einzi g er Freund, und sie hatte nie daran gezweifelt, daß er ein Genie war. Doch er hätte das der Welt auch etwas später beweisen können, vo r zugsweise nach ihrem eigenen Debüt.
Mit ei n em mal entdec k te Carla ih r e Einsa m keit in Berlin. Die anderen Eleven an der Schauspielschule waren Bekannte, m ehr nicht. Und seltsam, obwohl sie es als gräßlichen Zwang e m pfund e n hatte, m it zwanzig anderen Mädchen in einem Saal s chlafen zu müssen, war es eigenartig, nun keine Atem z üge m ehr in der Nacht zu hören, wenn sie aufwachte und einige Zeit b r auchte, bis sie sich erinnerte, wo sie sich befand. Ihr eigenes Z im m er in München hatte seine vertrauten Geräusche gehabt, das leise Knacken des alten Holzes, doch hier waren die Laute fre m d; gel e gentlich Automobile, Betrunkene, die an ihrem Fenster vorbeigingen, und ständig der schwache, aber nicht zu v ertreiben d e Geruch nach R einigungs m itteln aus Frau Pahlkes W aschküche.
W arum f i el ihr das alles erst jetzt au f ?
Am nächsten Tag stür m te sie in das Sekretariat der Schule und bat um die Adr e sse eines Privatlehre r s. Philipp hatte genügend Geld. Das Vorsprechen bei Renate Beuren erw i es sich als noch härtere Prüfung als das vor dem Reinhardt-Ko m itee, weil sie überhaupt nichts sagte, sondern sich Lebensgeschichte und Monologe m it einer schweigenden Inte n sität anhörte, d i e Carla das Gefühl ver m ittelte, nackt ausgezogen zu sein. Überdies hingen üb e rall an den Wänden alte Plakate von legendären Auffüh r ungen, und die Frau bewegte sich m it d e m Selbstbewußtsein einer Königin, d i e eine Audienz gab. Sie akzeptierte Carla schließlich, doch da sie im m er noch n i chts über das Vorsprechen sagte, wurde Carla das G e fühl nicht los, daß sie es vielleicht nur des Honorars wegen tat. Unter den Kritiken und Plakaten, welche die Wände schmückten, war keines jü n geren Dat u m s.
Trotzde m , die Stunden b ei Frau Be ur en füllten z u sam m en m i t d e m nor m alen Unter r ic h t d e n let z ten R e st ih r es Ta g es aus. Eig e ntlich kurios, wenn m an bedachte, was für Vorstellungen die Leute vom Theater als Sündenpfuhl hatten, und hier lebte sie wie eine Nonne und war wirklich nicht d ie einzi g e; nur das Beten wurde durch Theaterbesuche ersetzt, denn die Schauspielschüler erhielten verbilligte Karten zu allen Reinhardtschen Theate r n. Hinterher diskutierten sie alle hitzig über die Vorzüge und Schwäc h en jeder einzelnen Darstellung.
Jeder m anns größtes Idol war W er n er Krauß, der sich von Rolle zu Rolle, von seiner Stimme angefang e n bis zu seinem Körperbau, so verändern konnte, daß m an glaubte, ein anderes W esen vor sich zu haben. Bei den Schauspielerinnen s p alteten s i ch die Parteien in Bergner- und Dorsch- A nhänger, u n d einer der gängigen W itze lautete, daß die Elisabeth- B ergner-Get r euen an ihren Zenti m etern abge m essen we r den konnten, während die Verehrer von Käthe Dorsch m it wuchtiger Stim m e in den Him m el bauten, wie Egon, der kleingewachsene Anführer der Be r gner-Partei, sich ausdrückte.
Die am m eisten diskutierte I n szenierung war Erwin Piscators Räuber am Staatstheater. Piscator stellte m it seinen streng politisch au s gerichteten, modern gewandeten Aufführungen ohnehin den Gegenpol zu den Reinhardt-Bühnen dar, aber die Räuber wurden von denjenigen, die beides gesehen hatten, als
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