Unter dem Zwillingsstern
und Oper überlappten sich, und sie hätte da m it rechnen m üssen, daß so etwas ka m .
»Meine Mutter«, sagte sie so gel a s s en wie m öglic h ; die Schülerin in ihr entdeckte den unvollständigen Satz und zwang sie, gram m atikalisch korrekt hinzuzufügen: »Sie war m eine Mutter.«
»Na, dann sind Sie ja von Kindesbeinen an m it den Musen vertraut«, entgegnete der Mann wohlwollend.
»Nicht wirklich. Sie starb, als ich drei Jahre alt war.«
Kurze Zeit herrschte das betretene Schweigen, das die Er w ähnung des Todes immer mit sich bringt, beherrscht von der Suche nach einer passenden Phrase, um es zu überbrücken. C arla hätte lügen können, doch das war zu überprüfbar.
»Aber«, fuhr sie fort, um ihnen die Notwendigkeit einer konventionellen Reaktion zu er s paren und weil sie n i cht wollte, d aß der Opernfreund darüber nachgrübelte, was er über Angharads Tod gehört hatte, »ich hatte trotzdem die C h ance, etwas von den Musen zu lernen.« Sie erzählte eine kleine Anekdote von einer Begegnung m it Karl Valentin, die stimmte, nur daß sie Robert passiert war.
Das brachte die Herren zum Lach e n, und sie entspannte sich etwas. Bis jetzt lief alles g u t. S chlie ß lich k am das Vorsprechen an die Reihe, erst ein klassischer, dann ein moderner Text und einer, den sie nicht vorbereitet hatte, sondern den m an ihr erst jetzt geben würde. Für ihren klassischen Monolog hatte sie sich etwas ausgesucht, das vielleic h t n o ch nic h t k l assisch war. Aber sie w o llte das Aufnah m eko m itee überraschen, also rezitierte sie Salo m es Schluß m onolog aus Oscar W ildes Stück, mit ausge s trecktem A r m , auf das u n sicht b are Haupt Johannes des Täufers starrend.
»Ach! Du wolltest mich deinen M u nd nicht kü s sen las s en, Jochanaan. Jetzt werde ich ihn küssen. Ich werde mit meinen Zähnen hineinbeißen, wie man in eine reife F r ucht beißt… Du hast mir abscheuliche Dinge gesagt. Du hast mich behandelt w i e eine Buhlerin, wie eine Hure, mich, Salome, Tochter der Herodias, Prinzessin von Judäaf«
Es war lei c ht gewesen, W ildes rh y th m ische Kadenzen au sw endig zu lernen, w eniger leicht, sich j e tzt, vor den Augen der Prüfer, wieder in Salo m es Liebe zu Jocha n aan, zur Rache und zum Tod hineinfallen zu lassen. Sie schloß die ab w ägenden Blicke aus und ging an den Ort in ihrem Herzen zurück, wo sie Salo m e gefunden hatte.
»Warum hast du mich nicht anges e hen, Jochanaan? Hinter deinen Händen und deinen Schmähungen hast du dein Antlitz verborgen… Hättest du mich gesehen, du hättest mich geliebt. Ich weiß, du hättest mich geliebt, und das Geheimnis d e r Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes. Man soll nur die Liebe sehen . «
»Nun«, sagte der m ittlere der Männer, nachdem sie eine W eile g e schwiegen h atten, » Ihre W ahl ist… intere s sant. Haben Sie Tilla Durieux in der Rolle erlebt ? «
Carla schüttelte den Kopf, weil sie ihrer S tim m e noch nicht wieder ganz traute.
»Das dachte ich m i r. Sonst wüßten Sie, daß Salo m e eine Rolle für eine erfahrene Frau ist, nicht für ein junges Mädchen.«
»Salo m e ist ein junges Mädchen«, entgegn e te Carla. »Keine erfahrene Frau.«
Der dritte P r üfer, der bisher ges c h w iegen hatte, lachte, ein kurzes, bellen d es L achen. »Da hat s i e rec h t. Und es ist zu m i ndest eine Abwechslung nach all den Gretchens, Käthchens und Klärchens. Aber trotzde m , Fräulein, Sie sind noch nicht alt genug für diese Art von Rolle.«
»Machen Sie weiter«, sagte der erste, der Opernkundige.
Carla drängte ihre Furc h t zurück und ging zu ihrem m odernen Monolog über. Er stam m t e aus einem Stück, das erst zwei Jahre alt war, und nach der Frage wegen der Durieux ver m utete sie, daß m an nun würde wissen wollen, ob sie E lisa b e t h Bergner in der Rolle gesehen hatte. Sie hoffte nur, daß m an den ersten Satz nicht als A nspielung verstand.
» Wo wä r t ihr j e tzt alle, wenn i c h m i ch nach dieser Art von Wahrheit g ericht e t hätte«, begann sie m it den W orten von Shaws heiliger Johanna. Johannas Desillu s i onieru n g m it den Franzosen und ihr Festhalten an ihrem Glauben sollten der Gegenpol zu Salo m es Versinken sein, aber diesmal konnte sie sich nicht ganz so gut konzentrieren, und s i e wurde etwas zu bitter, als s i e sc h l oß: »Ihr alle werdet froh sein, wenn ihr mich brennen seht. Aber wenn ich ins Feuer gehe, dann gehe ich durch das Feuer in das Herz meines Volkes
Weitere Kostenlose Bücher