Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
Ort des Geschehens zu wechseln. Ein Teil d e r Bühne lag stets völlig im Dunkeln, im m er ein anderer Teil, außer bei den Massenszenen, und so war es Dieter gelungen, das T e m po enorm zu erhöhen. Einer der Kritik e r sch r ie b , Hamlet sei hier endlich nicht m ehr eine Abfolge von Historienbildern, sondern ein Kri m inalstück, das es m it den Produktionen von Fritz Lang und Joe May auf der Leinwand sehr wohl aufneh m en könne.
    Was Robert anging, so fand er den Geist m it seinen drei Auftritten, einer davon stumm, nur an einer Stelle schwierig. Er projizierte edles Leiden, bis Dieter kop f schüttelnd zu ihm sagte: »Junge, du stehst hier nicht vor einem Da m enkränzchen, das auf eine Rezitation von Shakespeares besten Versen wartet. Das ist n i cht nur ir g end e in Geist, sondern Ha m lets Vater, der zu seinem Sohn spricht, seinem Sohn, der erfahren muß, wie man ihn hat elend sterben lassen.«
    »Ich bin deines Vaters Geist: Verdammt auf eine Zeit lang, nachts zu wandern/ und tags gebannt in ew’ge Feuerglut…«, begann Robert noch ein m al, leicht gepreßt, und zwar nicht, weil er nicht verstand, worauf Dieter hinauswollte. Er konnte die Beziehung zu seinem eigenen Leben herstellen, zu seinem Vater, den er verbannt und verdam m t hatte, aber er weigerte s i ch, schob das Bild von Papa zurück, der von Kneipe zu Kneipe, von Ho t elbar zu Hotelbar torkelte. Es war eine Sache, sich bei Carlas Vat e r einiges auszuleihen. Niemand hier kannte das alte Ungeheuer, und der Mann hatte ihm nichts bedeutet. Aber er beabsichtigte ganz gewiß nicht, jedem hier einen Spiegel seiner eige n en Seele in die Hand zu drücken.
    »Wenn du je deinen teuren Vater liebtest…«, schloß er und sah bereits Dieters erneutes K opfschüttel n , ehe Jea n - P ierre zu s ei n em Einsatz ka m . Plötzlich zerriß etwas in ihm.
    »Wenn du je deinen teuren Vater liebtest…«, wiederh o lte er, aber dies m al nicht edel oder leidend, sondern erbittert, rachsüchtig und etwas drohend, und während er es sagte, trat er aus seiner starren Pose heraus und ergriff m it einer heftigen Bewegung Jean-Pierres Kinn.
    Jean-Pierre, der als Ha m l et vor ihm kniete, geriet nicht aus dem Takt; er fiel genau m it der richtigen Erschütterung ein: »Oh Himmel!«
    »Räch’ seinen schnöden, unerhörten Mord!«
    »Na also«, sagte Dieter. »Du kannst es doch. Behalte das bei, aber komm m i r jetzt n i cht d a m it, ins andere Extrem zu fallen und die ganze Morderzählung herunterzudonnern.«
    Am Ende gab er einen G eist ab, d e r Dieter zufried e nstellte und die Kriti k er ebenfalls, obwohl einer et w as besor g t an m erkte, der junge Herr König habe sich anscheinend auf ältere Männer s p ezialisiert. Doch Robert war froh, daß der Gei s t nur diese drei Auftritte hatte, und er schwor sich, nie H a m l et selbst zu spielen. Grübeleien über Mütter, die ihre Männer betrogen, fehlten ihm noch. Fortinbras war kein Problem, obwohl ihm eine Idee ka m , wie m an dessen heroischbedauernde Zeilen, die das Stück beschloss e n, etwas interessanter gestalten konnte. Es war ihm nicht ganz er n st d a m it, aber er fragte Dieter, um dessen Reaktion zu erleben.
    » W enn er am Schluß sagt: Geht, laßt die Truppen feuern wie w ä re es, wenn Fortinbras da nicht d e n Salut für Ha m l et anordnet, sondern den Befehl gibt, Horatio erschießen zu la ss en? Ich m eine, er i s t ein Ursurpator, er h a t gerade Däne m ark e r obert, und wenn er den letzten Überlebenden des alten Regi m es aus dem Weg räu m t, wäre das nur logisch. Und«, endete Robert m it einem spitzbübischen Grinsen, »ein echter Ham m e r!«
    »Du hast eine blutrünstige Phant a sie«, antwortete Dieter, aber er sagte es m it einem Lächeln und fuhr Robert m it einer zuneigungsvollen Geste durch die dichten, braunen Haare.
    Hamlet lief bis weit in den Frühling hinein. Nach einer der letzten Vorstellungen lud ihn Jean-Pierre zu einem Essen im Retino ein und kam dort, während Robert m it seinem üblichen Appetit den Sal a t vertilgte, ohne U m schweife zur Sache.
    »Bis zur Sommerpause haben wir noch zwei Stücke vor uns, und eines davon m it einer etwas größ e ren Rolle für dich«, sagte Jean-Pierre und nippte an seinem Rotwe i n, »aber du solltest dich jetzt schon nach einem neuen Engage m ent umsehen, wenn du m it der Schauspielerei weiter m a chen will s t. Du bist sehr überzeu g end, und ich bin sicher, es gelingt dir, den einen oder anderen Agenten hierherzuholen, da m it

Weitere Kostenlose Bücher