Unter dem Zwillingsstern
itzubringen.
Sie wurden der Reihe nach hin e ingerufen, und diejenigen, die wie Carla zu früh erschie n en waren, versuchten, sich die Zeit m it Gesprächen zu vertreiben.
»Glauben Sie, daß der P rofessor auch dabei sein wird ? « fragte sie ein junger Mann, dem zweifellos je m and ges a gt hatte, er sehe dem jungen Schiller ähnlich, denn er stilisierte sich deutlich in diese Richtung, und beantwortete seine eigene Frage gleich selber. »Nein, natürlich nicht, der ist ja beschäfti g t genug. Es heißt, daß er jetzt ohnehin lieber in Österr e ich i s t.«
Auf diese Weise erfu h r sie, daß m an Max Reinhardt, den berüh m testen deutschsprachigen Regisseur, in Theaterkreisen den »Professor« nannte. Natürlich wußte sie b e reits einiges über Reinhardt. E r war als ju n ger österreichischer Schauspieler von Otto Brah m , d e m großen Naturalisten, nach Berlin geholt worden, hatte dann m it einigen Kollegen ein Kabarett und die ersten Ka mm erspiele gegründet und schließlich das Deutsche Theater übernomm e n. Die Inszenierung des Sommernachtstrau m s, die Drehbühne, die d a bei erstmals verwendet wurde, und die Mischung aus feinem psychologischem Spiel und phantasievoller Prach t entfaltung m achten ihn berüh m t, weit über die deutschen Grenzen hinaus. Heute gehörten ihm Theater in Berlin, in W ien, er hatte in Salzburg alljährliche Festspiele ins Leben gerufen und m i t d e m Ens e mble des Deutschen Theaters überall in der Welt gastiert. Es gab Bücher über Max Reinhardt, Photographien von Reinhardt- S chauspielern, von Rei n hardt-Inszenierungen, es gab heftige Angriffe, daß seine Inszeni e rungen nur zu Massenspektakeln gerieten und er die Kunst an den Kommerz verraten habe, aber nie m and bestritt, daß er im m er noch a l s König des deutschen Theaters herrschte. E i n Reinhardt-Schauspie l er zu s ein war das h ö chste e rreichbare Zi el, und vor allem deswe g en hatte sich Carla hier beworben, an der Schauspielschule für sein Theater, die Max Reinhardt 1905 gegründet hatte, und nicht in München, wo es zwischenzeitlich eben f alls ei ne solche Stätte g ab. M a n sollte i mm er an der Spitze a n fangen.
Es fiel ihr s chwer, sich auf das Gerede der anderen zu konzentrieren, aber sie hatten recht, es war im m er noch b e sser, als stumm dazusitzen und sich auszumalen, was man alles falsch m achen konnte. Auf diese Weise erfuhr s i e ei n i ges Nützliches, z u m Beispiel, wo m an Abschriften von Bühnen m anuskripten, die noch nicht veröffentlicht waren, ergattern konnte. Die Schau s pieler, von denen sie stam m ten, brauchten sie nicht m eh r , aber sie steckten voller Notizen, von denen m an lernen konnte. Außerdem gab es Adressen f ür günstige abgelegte Kleider. Anders als noch vor e i n paar Jahrzehnten m ußte m an als Schauspieler seine Gar d erobe nic h t m ehr selbst bezahlen, aber bei Gegenwartsstücken neigten die m eisten Bühnen doch dazu, nur ihre Hauptdarsteller auszustatten und von d e m Nachwuchs zu erwarten, daß er seine eigenen Kleider m itbrachte.
»Abendkleider«, sagte eine Blondine, die ihrem Akzent nach eindeutig aus Berlin stam m t e, »Abe n dkleider gibt’s am günstigsten bei Seifering, die kriegen sie m a nch m al direkt nach Bällen.«
Carla n o tierte sich das alles; sie war zwar nicht d arauf ange w i ese n , doch sie wollte Philipp so selten wie m öglich um Geld bitten und nahm sich vor, zu sparen, wo es nur ging.
Als sie en d lich an die R eihe ka m , f e hlte ihr nur noch eine A dresse für einen Zahnarzt in Berlin, und i h re Zähne erfreuten sich bester Gesundheit. W i der besseres W i ssen war sie einen Herzschlag lang doch enttäuscht, denn sie kannte Photographien von Max Reinhardt, und bei kei n em der drei Männer, die in dem m ittelgroßen Raum auf sie warteten, handelte es sich um ihn.
Sie wurde gebeten, erst etwas von s i ch selbst zu erzählen, und antwortete m it dem glücklichen kleinen Märc h en, d as sie sich für solche Gelegenheiten zurechtgelegt hatte. F ür eine Sekunde ritt sie der Teufel, und sie geriet in Versuchung, eine Andeutung über die Großfür s tin Anasta si a zu m achen, aber sie nahm sich zusam m en. Sie war schon am Ende angelangt, als ein e r der Männer stirnrunzelnd m einte:
»Sie erinnern m i ch an je m anden. Fehr, Fehr… Angharad Jones hat je m anden na m ens Fehr geheiratet, glaube ich.«
Carla er s tarrte. Im m er noch erwähnte sie ihre M utter nie, nie m als, aber die W e lten von Theater
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