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Unter Den Augen Tzulans

Unter Den Augen Tzulans

Titel: Unter Den Augen Tzulans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Glasphlole herausgenommen, die sorgsam zwischen Wattebäuschen gelagert worden war. Vorsichtig öffneten die Hände die Phiole und brachten den Inhalt an zwei Stellen eines Gitterstabes auf. Sofort reagierte das Metall mit lautem Zischen, die Flüssigkeit machte den Stahl porös.
    Die Gestalt wartete noch ein wenig, dann umfasste sie den Stab und rüttelte daran, bis sich das Metall löste. Durch den so entstandenen schmalen Spalt schlängelte sie sich auf die andere Seite, kroch auf den Sims und bewegte sich lautlos vorwärts, tiefer in das Innere des größten Gefängnisses der Hauptstadt.
    »Siehst du das?«, keifte die bis zur Unkenntlichkeit geschminkte Frau unangenehm dem Hauptmann der Wache ins Ohr. »Das ist das Siegel des Kabcar. Und wenn du mich nicht auf der Stelle zu meinem Bruder bringst, wirst du sehen, was es bedeutet, die Befehle deines Herrschers zu missachten.« Sie tippte immer wieder mit ihren behandschuhten Fingern auf dem Wachs herum, sodass es abzubröckeln drohte.
    Die Torwache schloss für einem Moment die Augen, um sich zu beruhigen, dann begutachtete sie zum dritten Mal das Schreiben, das dem Besitzer freien Zugang zu dem Trakt gewährte, in den seit Jahren kein Besuch mehr vorgelassen worden war.
    Es ging den Mann nichts an, warum dort niemals jemand hinein wollte, aber der Umstand, dass nun nach so langer Zeit eine Dame Zutritt verlangte, erregte seine Neugier. Dummerweise erwies sich die Frau nicht nur als besonders hässlich, sie war zudem eine Furie, wie sie im Buch stand. Deshalb bereute er, sich so lange mit ihr aufzuhalten.
    »Ja, meinetwegen, Euer Hochwohlgeboren«, sagte er schließlich und drehte sich um. »Folgt mir.«
    Zusammen mit der unaufhörlich redenden Frau, von der er anhand ihres Kleides und Benehmens annahm, sie gehöre zum neu entstanden Geldadel Tarpols, durchquerte er den Eingangsbereich und lief über den Hof, in dem linkerhand Stallungen untergebracht waren.
    Er winkte sich drei Soldaten herbei, welche die Dame eskortieren sollten. Er wollte nichts weiter mit der zeternden Furie zu tun haben, mochte sie noch so viele Bekannte am Hof des Kabcar haben.
    »Bringt die Dame zu unserem Nobeltrakt und lasst sie mit dem Gefangenen Stoiko Gijuschka sprechen«, orderte er und verschwand in seinem Amtszimmer.
    Als die kleine Prozession schon eine Zeit lang in den dunklen Gewölben des Gefängnisses unterwegs war, trat der Hauptmann nach vollbrachter Aufgabe wieder in den Hof und ließ die Brieftaube in den Himmel steigen, die seine Nachricht augenblicklich zum Palast befördern würde.
    Stoiko bewegte die Oberlippe und brachte seinen gewaltigen Schnauzer zum Wackeln. »Soscha, wie hast du das geschafft?«, wunderte er sich schließlich und richtete sich auf. »Ich dachte, ich kenne alle Eröffnungsstrategien, mit denen man den Gegner innerhalb der ersten Züge matt setzt.«
    Sie lachte ihn durch die Gitter der Sichtluke an. »Gut, nicht wahr? Das habe ich mir selbst ausgedacht. Noch mal?«
    Der einstige Vertraute des Kabcar schüttelte den Kopf mit den inzwischen graubraunen Haaren und hob abwehrend die Hände. »Lass es gut sein, Soscha. Wir haben für heute genug Schach gespielt« Er brachte die Figuren zurück in ihre Ausgangsstellung und schob das karierte Brett ein wenig nach hinten, bevor er die Augen hob und seine Ziehtochter väterlich anblickte.
    Das Mädchen, das eine mehrjährige Ausbildung bei den wahrscheinlich raffiniertesten Fälschern und Hochstaplern des Landes erhalten hatte, kannte kaum mehr das Tageslicht, weil die Strafe, die ihr der Kabcar auferlegt hatte, nicht aufgehoben wurde.
    Monat für Monat lieferte sie die Mahlzeiten an die Häftlinge der Verlorenen Hoffnung und verlor dabei selbst ihre Kindheit in den dunklen, düsteren Gängen des Gefängnisses.
    Und in all dieser Zeit hatte er es nicht geschafft, einen Plan zu ihrer oder der eigenen Rettung in die Tat umzusetzen. Immer wieder wurden die Ideen durch Ungewissheiten zunichte gemacht, allen Insassen fehlte die exakte Ortskenntnis, und selbst Soscha gestand, dass sie sich nur in manchen Teilen der Kerkeranlage auskannte. Der Weg in die Freiheit war unmöglich allein zu beschreiten, dafür befanden sich zu viele Wachen innerhalb des Gebäudes.
    Unter Anleitung der Bewohner des »Nobeltraktes« übte sie, so oft sie Gelegenheit dazu erhielt, wie man sich in feiner Gesellschaft bewegt oder wie man Dokumente, Siegel und Unterschriften fälscht. Mit Hilfe eines Messers und Holzstücken übte sie sich

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