Unter Den Augen Tzulans
unterwegs durch meine Reiche so machen Gedanken gemacht und mir überlegt, ob wir denn die Monarchie überhaupt brauchen.« Er nahm die leere Flasche in die Hand und betrachtete die Aufschrift. »Sicher, es muss jemanden geben, der das Sagen hat, aber sollte er diese absolute Macht haben? Darf ein Einzelner eine solche Macht besitzen? Man müsste etwas erfinden, das alle Menschen eines Landes gleichberechtigt an der Führung beteiligt.« Traurig hielt er den Flaschenhals über das Schnapsglas und beobachtete, wie ein letzter Rest in das kleine Gefäß tropfte. »Wenn das hier alles vorbei ist und Ulldart in meiner Hand ist, läute ich den nächsten Abschnitt einer neuen Zeit ein. Dann sind die Voraussetzungen erfüllt.«
»Und wie genau soll das aussehen?«, erkundigte sich Mortva vorsichtig.
Lodrik zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es noch nicht. Es soll eine Beteilung aller sein. Aber ich habe noch ein wenig Zeit, um mich näher damit zu beschäftigen. Dann werden die Ulldarter verstehen, dass ich nur um ihr Wohl besorgt bin. Früher habe ich mir viele Gedanken dieser Art gemacht. Zusammen mit Norina.« Ansatzlos beförderte er die Flasche mit Wucht gegen das nächste Regal. »Zu Tzulan mit ihr!«, brüllte er. »Elende Verräterin! Von mir aus mag sie als Leiche neben Waljakov auf dem Meeresgrund ruhen.« Brütend starrte er in die Nacht hinaus. »Und dennoch vermisse ich sie«, sagte er plötzlich leise. »Ich vermisse sie schrecklich.«
Der Konsultant wusste, dass er von nun an überflüssig war, erhob sich und verließ die Bibliothek.
Die Entwicklung, die sein Schützling nahm, gefiel ihm gar nicht. Sollte er diese wirren Pläne wirklich in die Tat umsetzen wollen, würde wiederum sein Vorhaben gefährdet, das bisher sehr gut lief.
Das Ziel, den Kontinent vollständig in die Hand des Kabcar zu bringen, war noch ein gemeinsames, doch was dann danach kommen sollte, unterschied sich offenbar deutlich voneinander.
»Hemeròc«, sagte er in den dunklen Korridor, und die rot glühenden Augen seines Helfers wurden in der Finsternis sichtbar. »Ich möchte, dass du den Jungen weniger hart herannimmst. Krutor hat Angst vor dir, und das ist nicht gut«, befahl er, ohne seine Schritte zu verlangsamen. »Hast du etwas von Paktaï gehört?« Der dunkle Schatten, der ihm folgte, antwortete nicht. »Verflucht, wie kann das sein? Sie ist eine Zweite Göttin. Was könnte ihr zugestoßen sein, dass sie sich zwölf Jahre lang nicht mehr blicken lässt? Wenn das trotziger Ungehorsam sein sollte, werde ich sie bei unserem nächsten Zusammentreffen einfach vernichten.«
»Ich glaube nicht, dass es das ist«, krächzte Hemeròc. »Sie muss, als sie das Schiff des Piraten versenkte, in Schwierigkeiten geraten sein.«
Nun blieb Mortva stehen. »Wie kann ein Wesen, das durch normale Waffen nicht verwundet werden kann, das keine Luft zum Atmen braucht, das Magie beherrscht, in Schwierigkeiten geraten?« Er fixierte seinen Helfer. »Andererseits warst du auch nicht in der Lage, den Ausbruch von Gijuschka zu verhindern.« Hemeròc knurrte. »Na, schön, dann werden wir eben abwarten. Ich möchte, dass du Sinured und Varèsz aufsuchst und ihnen die neuen Pläne zur Eroberung von Agarsien übermitteltst. Es soll alles gelingen. Ich habe der Kabcara etwas versprochen.«
»Wann bekomme ich meine Gelegenheit?«, wollte die Kreatur wissen. »Ich habe gesehen, dass er heute hier war.«
»Nerestro? Nein, du wirst die Finger von ihm lassen«, befahl Mortva. »Noch ist er zu wertvoll. Als Großmeister leistet er ungeahnte Dienste. Gedulde dich. Was sind ein paar weitere Jahre für jemanden, der unendlich lang lebt?«
Hemeròc verschmolz mit den Schatten und war verschwunden.
Ulldart, Großreich Tarpol, zwanzig Warst südlich der Hauptstadt Ulsar, Sommer 456 n.S.
Nein, wie kommt Ihr darauf?«, fragte Nerestro erstaunt und blickte geradeaus. Dann schwieg er eine Weile, bevor er verständnisvoll nickte. »Na ja, wenn man es so betrachtet, könnte etwas Wahres dran sein. Ich versuche ständig, Herodin davon zu überzeugen, aber er ist wirklich unvernünftig, was das angeht. Ansonsten ist er ein tadelloser Seneschall, angesehen bei den Männern und recht beschlagen, was die Fechtkunst angeht. Möchtet Ihr Wein?« Er goss sich etwas Wasser ein und griff zur anderen Karaffe, in der vergorener Rebensaft war. »Aha, Ihr macht Euch also nichts daraus. Nicht mehr. Ich trinke auch nur noch Wasser, sonst würden die Männer behaupten, ich sei
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