Unter Den Augen Tzulans
Feldbett.
Das Gesicht verbarg er in den breiten Händen, und er weinte lautlos. Heiß perlten die Tränen über seine Wangen, und immer wünschte er sich, die tröstende Stimme von Belkala zu hören, nur einmal noch in Wirklichkeit, nicht als bloße Ausgeburt seiner Einbildungsgabe.
Aber seit Telmaran war sie verschwunden.
Kein sanftes Wispern mehr aus den Schatten heraus, kein Lachen, nichts. Die Kensustrianerin, seine Gefährtin, befolgte seinen Befehl und war ihres Weges gegangen.
Und das brachte Nerestro innerlich um, seine Gefühle rissen ihn in ein tiefes, schwarzes Tal, aus dem er nicht mehr herauskommen wollte. Seine Nachfolge innerhalb des Ordens hatte er schon lange geregelt. Sollte er in einem Turnier oder wann auch immer den Tod finden, würde Herodin in seinem Nachlass als nächster Großmeister vorgeschlagen.
Und wie der Ordenskrieger den Tod suchte. Keiner ritt waghalsiger in den Turnieren, keiner stürzte sich mit mehr Einsatz in die Scharmützel und Gefechte zu Ehren des Gottes Angor, und wie durch ein Wunder blieb er stets am Leben, kurierte seine Verletzungen aus.
Wenn sie jetzt erscheinen würde, würde er sie nicht mehr fortschicken. Er würde sie fest halten und nie mehr gehen lassen. Er hatte seine Aufgabe erfüllt, er hatte den Orden neu gegründet, nachdem er durch seine Schuld beinahe untergegangen wäre. Er wäre bereit, mit ihr zu gehen, wohin immer sie wollte. Er wäre sogar bereit, das Ritterdasein aufzugeben, nur um mit ihr zusammenzuleben. Er hob den Kopf, die braunen Augen rot vom Weinen. Was hatte sie nur mit ihm gemacht, dass er sie nicht vergessen konnte? Und wann holte ihn Angor endlich zu sich, um diesem Leben ein Ende zu machen? Er stieg auf den Rahmen seiner Lagerstätte und klappte einen Teil des Jurtendachs weg, um sich den Nachthimmel betrachten zu können.
Der Großmeister legte sich hin, fröstelnd hüllte er sich in eine wärmende Decke und wartete darauf, dass er einschlief, die Augen auf die Sterne gerichtet. Ganz gleich, was mit ihm geschah, er würde mit ihrem Namen auf den Lippen sterben.
Ulldart, Tûris, Verbotene Stadt, Sommer 456 n.S.
Belkala strich sich die Haare aus dem Gesicht, lehnte sich an die Säule und betrachtete die schimmernden Punkte hoch oben über dem Horizont.
Ihr habt es gut, dachte sie traurig. Ihr seht ihn. Was mir nicht vergönnt ist. Das Bernstein verfolgte die glühende Spur einer Sternschnuppe, die sich rasch zwischen den silbernen Funkeln verlor. Es verging keine Nacht, in der sie nicht von ihm träumte.
Aber sie respektierte, dass seine Gefühle für sie erloschen waren, wie auch immer das hatte geschehen können. In ihrem untoten Herzen trug sie die Liebe für den Ordensritter in sich. Ganz gleich, was mit ihr geschah, sie würde mit seinem Namen auf den Lippen sterben.
»Lakastre, kommst du zu Bett?«, rief Boktor lockend aus dem Schlafgemach.
»Ja, Geliebter«, antwortete sie über die Schulter, und. ihre Stimme klang dabei so zärtlich, als würde sie zu Nerestro sprechen. »Ist die Kleine schon eingeschlafen?«
»Sie schlummert friedlich unter ihrem Laken«, gab der Tzulani zurück. »Und für dich wird es ebenfalls höchste Zeit. Wir haben morgen einen anstrengenden Tag vor uns. Die neue Handelsdelegation wird sich vorstellen, wir müssen über die Produktion der Salben sprechen, und die Zeremonie zu Ehren des Gebrannten Gottes muss sorgfältig vorbereitet werden. An einem so hohen Feiertag darf nicht der winzigste Fehler den Zorn Tzulans hervorrufen. Durch seine Gnade sind wir dabei, wieder zu denen zu werden, die wir einst waren.«
Belkala seufzte. Ihr Gefährte zermürbte mit seinen Herrschaftsallüren ihre Nerven gewaltig, und wenn er nicht der mächtigste Mann im Umkreis von hundert Meilen wäre, sie hätte ihn schon lange »vernascht«. Der Gedanke gefiel ihr. Ein Knurren entwich ihrer Kehle, und die Iris leuchtete grellgelb auf. Der Rákshasa in ihr erwachte zu gefährlichem Leben. Es würde bald wieder Zeit für die Jagd werden, um sich Nahrung zu beschaffen.
Noch ein wenig Geduld, und sie konnte seinen Platz in der Versammlung einnehmen. Prüfend fuhr sie mit der Zunge über ihre spitzen Reißzähne. Bald, bald würde sie eine trauernde Witwe sein.
»Lakastre, wo bleibst du?«, rief Boktor ungeduldig.
»Ich eile, mein Geliebter«, säuselte sie. Das aggressive Gelb wandelte sich zu warmem Bernstein, ihre animalischen Züge wurden wieder feminin, menschlich, dann drehte sie sich um und lief von der großen
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