Unter Den Augen Tzulans
unhöflich ist …«
Die Borasgotanerin lachte und drückte auch die Stadtälteste. »Wir seien froh, dass du uns auch hilfst. Beste Kinderwache, wo gibt in Stadt!«
»Ja, ja, wenn du erst mal zehn Bälger in die Welt gesetzt hast, kommst du um Erfahrung nicht herum«, lachte sie glücklich. »Es freut mich, dass ich euch helfen kann. Es ist beinahe wie eine echte Familie.«
»Ja«, bestätigte Blafjoll leise. »Die Kalte Göttin wird sich schon etwas dabei gedacht haben, dass sie uns zusammengeführt hat. Und nun entschuldigt. Ich muss gehen. Kalisstra gebe euch Schutz.« Er nahm die Stadtälteste mit hinaus, um sie sicher durch die Dunkelheit zu bringen.
Ulldrael der Gerechte sei mit dir, Ihm gebührt alle Ehre, erwiderte Matuc in Gedanken und formte mit seinen Händen die Kugel als Symbol für seinen Gott. Irgendwann würde er diesen Satz aus den Mündern von vielen Kalisstri hören, so wahr ihnen Ulldrael das Leben gerettet hatte.
Ulldart, Königreich Tarpol, Hauptstadt Ulsar, Frühjahr 444 n.S.
Was hatte er nur falsch gemacht? Lodrik stützte eine Hand auf das kleine Pult und blätterte mit der anderen in der Lektüre vor und zurück. Es hätte klappen müssen. Aber warum hatte sich nichts getan?
Stirn runzelnd hob er den Kopf und blickte sich suchend im Raum um. Aber eine auf den Seiten beschriebene »Besonderheit« wollte ihm dabei nicht auffallen. Das Studierzimmer im Bauch das Palastes hatte sich nicht verändert. Er wusste aber auch nicht, worauf er genau achten sollte, die Beschreibungen in diesem Werk waren zu schwammig.
Mit offenem Hemd sinnierte der junge, nun bartlose Mann über den Formeln, die er seiner Meinung nach korrekt angewandt hatte. Auf dem Tisch, der sich vor dem Pult befand, standen mehrere Kerzen, akribisch genau nach einem bestimmten Muster platziert. Zwischen den Lichtquellen waren Linien gezeichnet und Symbole aufgemalt worden, in deren Zentrum ein Häufchen Asche ruhte.
Lodrik kratzte sich ratlos am Kopf, trat an den seltsam anmutenden Versuchsaufbau heran und betrachtete das Pulver genauer, als würde er erwarten, dass jeden Moment etwas aus der flockigen Substanz zum Vorschein kam.
»Verdammt, Vater!«, fluchte er und bohrte seinen Zeigefinger in das Häufchen. »Zeige Er sich. Ich möchte Ihm einen Sohn zeigen, wie Er Ihn sich immer gewünscht hat. Lodrik der Eroberer, ein glänzender Bardri¢, der die Dynastie glorreicher als alle anderen weiterführt.« Der junge Herrscher zog seinen Finger aus der Asche und hielt die Partikel ganz nah vor die dunkelblauen Augen. »Hat Er gehört, Vater? Glorreicher als Er! Das Volk hat Ihn bereits fast vergessen.« Er blies die Asche in die Luft. »Ich bin der Kabcar der Tarpoler, auf dem Thron und im Tempel. Was hat Er denn geleistet?« Lodrik verfolgte den Flug der grauen Flocken, die sich im Zimmer verteilten. »Er ist Staub im Wind.«
Selbst nach dieser Schmähung hielt es der Geist von Grengor Bardri¢ nicht für notwendig, seinem Sohn zu erscheinen, wie er es, laut dem Lehrbuch, das auf dem Pult lag, hätte tun sollen. Diese Schrift besagte, dass sich die »Essenz des Toten« mit einem »Ächzen, Stöhnen« meldete und der Leib des Verschiedenen als flimmernde, durchschimmernde Kontur sichtbar würde.
Aber es blieb still und dunkel im Studierzimmer. Lustlos ließ sich Lodrik auf den Stuhl fallen, angelte nach einer Flasche Wein, die er sich mitgebracht hatte, und nahm einen langen Schluck.
Er nahm, ohne hinzusehen, das Büchlein vom Pult und wälzte mit einer Hand die Seiten um. Einen Hinweis beim Überfliegen der Zeilen auf seine möglichen Versäumnisse fand er nicht, deprimiert leerte er die Flasche um ein weiteren Zug.
Er hätte gerne mit ihm gesprochen und ihn ein bisschen gedemütigt. Der ungeliebte Sohn war nun ein Held.
Schwer erhob er sich und warf das gebundene Werk achtlos in die Ecke. Der Verfasser des Buches versprach, dass man, bei exakter Anwendung von Symbolen und Formeln, die Toten rufen und zu den eigenen Zwecken einsetzen konnte. Das reichte vom Gespräch bis hin zu Diensten, die man ihnen abverlangen konnte. Der Grundcharakter der Verstorbenen war entscheidend für das, was möglich war. Die Theorie: Je verkommener der Verblichene, desto einfacher war er für die eigenen Wünsche einsetzbar. Voraussetzung war, dass man entweder den »Corpus« selbst oder ein Körperglied besaß.
Vielleicht lag es daran, dass er nur die Asche des alten Mannes hatte. Also sollte er das Experiment besser mit einem echten
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