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Unter Den Augen Tzulans

Unter Den Augen Tzulans

Titel: Unter Den Augen Tzulans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Kadaver ausprobieren. Oder war er zu skeptisch gegenüber dieser Kunst? Immer wieder wanderte die Öffnung der Flasche an seinen Hals, bis der Wein geleert war. Aber trotzdem fand der junge Herrscher damit nicht zu einer Lösung des Problems. Wie genau die Nekromantie funktionieren sollte, das wusste er nicht. Es hatte anscheinend nichts mit der Magie zu tun, die er nutzte.
    Dieses Buch ging davon aus, dass die Essenz der Toten an dem Ort, an dem sie waren, es durchaus hörte, wenn man sich über sie unterhielt oder wenn man nach ihr rief. Die Nekromantie war nun in der Lage, die Essenz zum Erscheinen zu zwingen. Entweder materialisierte sie als wabernde Silhouette, oder der Nekromant brachte sie dazu, in einen toten Körper zu fahren, den eigenen oder einen fremden.
    Symbole, Formeln und Sprüche sollten das eigentlich bewerkstelligen, aber nichts wollte Lodrik gelingen. Er hatte den Verdacht, dass diese Lektüre nicht anderes als große Scharlatanerie war, die höchstens einfache Gemüter beeindrucken konnte. Warum ihm Mortva diesen Schund gegeben hatte, wusste er nicht. Und es ärgerte ihn maßlos, dass er seine kostbare Zeit mit dem Auswendiglernen des Unsinns vergeudet hatte. Wieder warf er sich auf den Stuhl, der schwere Wein tat seine Wirkung.
    Er hätte zu gerne gewusst, wie viele Tarpoler das schon ausprobiert hatten und enttäuscht worden waren. Er sah die Reichen und Mächtigen Tarpols wie sich selbst mit langen Gesichtern vor Tischen mit Kerzen sehen, was ihn zum Lachen brachte. Glucksend rutschte er vom Polster, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Das leichte Gefühl im Kopf sagte ihm, dass der Alkohol immer stärker wirkte.
    Umständlich stemmte er sich in die Höhe, strich die blonden Haare nach hinten und band sie erneut mit dem Lederband zusammen. Dabei fiel sein Blick auf das Henkersschwert, das er neben der Uniformjacke abgelegt hatte. Wie ein Blitz traf ihn die Eingebung.
    Er langte nach dem Griff, und mit einer fast andächtigen Bewegung zog er die Schneide aus der Hülle. Schwach schimmerten die Gravuren der Waffe auf. Bannsprüche, die den Träger vor der Rache der Toten schützen sollten, die mit der Klinge und einem kräftigen Schlag ins Jenseits befördert worden waren, und Szenen von Hinrichtungen wurden sichtbar. Ob es die Seelen seiner Opfer in sich aufgenommen hatte, wie das Volk sagte? Vorsichtig fuhr Lodrik mit den Fingerspitzen über die Gravuren und Schmiedearbeiten. Bist du ein Seelenfresser? Kühl fasste sich das Metall an, kühl und angenehm. Wir werden sehen. Er trieb die schwere Klinge mit einem kraftvollen Hieb in die Tischplatte, genau in die Schnittpunkte der Linien, in die Mitte der Kerzen. Ohne nachzudenken, was er tat, betete er die Formeln herunter, zuerst langsam, dann immer schneller, bis er sich beinahe in Trance geredet hatte.
    Das erste aufgeschmiedete Bannzeichen knapp unterhalb des Hefts leuchtete rotblau schimmernd auf. Lodrik glaubte, dabei so etwas wie ein Stöhnen, ein schweres Atmen gehört zu haben, das von den Wänden widerhallte und ihn von allen Seiten umgab.
    Seine Nackenhaare richteten sich auf, doch seine Lippen formten weiterhin die Wendungen und Beschwörungssprüche, bis das nächste Symbol auf der Klinge erstrahlte.
    Diesmal flackerten die Kerzen, ein wispernder Wind strich durch den fensterlosen Raum, in dem kein Zug herrschen dürfte. Das laute Seufzen löschte die tanzenden, zuckenden Flammen, nur die glühenden Zeichen auf dem Henkersschwert sorgten für ein unwirkliches Licht.
    Nun beendete der Kabcar seine Litanei. Ausgerechnet ihm, den die seltsamsten Menschen und Wesen des Kontinents umgaben, wurde unheimlich zu Mute.
    Der dritte Bannspruch glomm auf.
    »Was bei Tzulan …?«, begann er verwundert. Hastig langte er nach dem Griff und wollte die Schneide aus dem Tisch ziehen, um den Prozess, den er in Gang gesetzt hatte, abzubrechen.
    Es war, als hätte sich das Metall mit dem Holz verbunden. Das Schwert bewegte sich keinen Millimeter.
    Mit beiden Händen umfasste er den Knauf, sprang auf die Tischplatte und zog aus Leibeskräften. Die mittlerweile nicht unansehnliche Muskulatur Lodriks schwoll an, das Seufzen, Stöhnen und Jammern um ihn herum wurde lauter, Angst einflößender.
    Unsichtbare schienen ihn zu berühren, zogen sanft an seinem Hemd oder strichen ihm durch die Haare. Immer forscher wurden die Kontakte, intensivierten sich, bis sie allmählich schmerzten. Offenbar wollten die, die er freigesetzt hatte, nicht, dass

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