Unter Den Augen Tzulans
leicht zusammengekniffen, stand er in gebeugter Haltung am Kartentisch. Dass er dabei die Spitzen seines grauen Lockenbarts in die Farbe tunkte, bemerkte er nicht.
Als Nächste wischte die Pinselspitze die rote Linie zu Rundopâl aus, das sich bedingungslos angeschlossen hatte, auch die Grenze zu Aldoreel verschwand unter einer Schicht Braun. Den Händlerstaat Palestan schraffierte er, um das Bündnis mit dem Großreich Tarpol zu symbolisieren.
Sinnierend betrachtete er die Veränderungen, nahm sich ohne hinzuschauen eine Hand voll Pralinen und schob sie sich alle auf einmal in den Mund. Die Schokolade, die er benötigte, um sich angesichts der deprimierenden Umstände zu trösten, konnte ein einziges Konfektstück nicht mehr bieten.
Seufzend, was inzwischen bei dem beunruhigten Herrscher selbstverständlich geworden war, las er die Blätter mit den neuesten Berichten über die Truppenbewegungen in Hustraban, wo die Soldaten des Kabcar gleichzeitig von Norden nach Süden und von Westen nach Osten rollten. Mit Fähnchen markierte er die Fronten. Wie eine gewaltige Presse schoben sich die Eroberer in das Land und trieben die Soldaten in Richtung Küste. Perdór vermutete, dass andere Teile des tarpolischen Angriffsheeres mit palestanischer Hilfe am Küstensaum landen würden, wie sie es in Borasgotan schon erfolgreich getan hatten.
Langsam richtete er sich mit einem Stöhnen auf und musterte die Landkarte.
Höchstens noch zweieinhalb Jahre, dann würden die Soldaten vor Serusien und Ilfaris stehen. Und momentan deutete nichts daraufhin, dass irgendjemand oder irgendetwas den Kabcar aufhalten könnte. Mehr als hundertfünfzigtausend Mann standen dem jungen Mann zur Verfügung, Tzulandrier und Tarpoler kämpften gemeinsam für das weltliche Oberhaupt des Großreiches. Und ganz selbstverständlich übernahm dieser Bardri¢ auch die geistliche Vormundschaft der eroberten Gebiete, ohne Widerspruch zu ernten.
Wie auch? Ihn zu einem weiteren Gottesurteil herauszufordern wagte sich keiner mehr. Selbst wenn der Kabcar mit seiner Magie den Ausgang eines solchen Urteils manipulierte, dem Volk war das reichlich gleichgültig. Es interpretierte den Willen Ulldraels in die Vorgänge, der anscheinend wollte, dass der junge Mann den Kontinent eroberte.
Und das war genau der Punkt, über den sich der ilfaritische Herrscher und sein Hofnarr ausgiebig stritten. Auch wenn ein Reich nach dem anderen fiel, es sah noch lange nicht nach der Dunklen Zeit aus, wie sie von allen befürchtet wurde. Die düstere Vision von Knochen- und Schädelbergen, über die ein vor Triumph brüllender Sinured schritt, war nicht eingetreten.
Der zurückgekehrte Kriegsfürst beging reichlich Grausamkeiten während der Schlachten und opferte, da war sich Perdór mehr als sicher, dem Gebrannten Gott etliche Leben. Doch danach zog keine Finsternis über das Land. Die Bewohner wurden weitestgehend in Ruhe gelassen.
Und auch der Kabcar schien sich als Befreier zu gefallen, der nicht müde wurde, in seinem Palast einen Reformplan nach dem anderen auszuarbeiten.
Die Umwandlung der protzigsten Ulldraeltempel in Bade- und Heilanstalten machte ihn beliebter denn jemals zuvor. Die meisten Mönche ließen ihn hochleben, weil sie sich am verschwenderischen Prunk der Oberen schon immer gestört hatten, standen zusammen mit den Bauern auf den Feldern und lebten in glücklicher Bescheidenheit, priesen Ulldrael durch ihre Arbeit. Rituelle Feiern und Gottesdienste fanden selten statt.
Diese trügerische Ruhe, diese Friedlichkeit machte es schwierig, Widerstand zu organisieren, denn Fiorell und Perdór waren sich sicher, dass die Handlungen des Kabcar nur der Auftakt sein konnten. Der Auftakt zur wahren Dunklen Zeit.
In der tarpolischen Provinz Karet war es dem ilfaritischen König gelungen, eine Widerstandszelle in den schwer zugänglichen Gebirgsketten zu installieren, die er mit Geld und Waffen unterstützte. Sie bekämpfte die Garnison und den Statthalter bis aufs Blut, schickte Redner und Dichter unters Volk, um den Menschen die Augen über ihren Kabcar und dessen Konsultanten zu öffnen. Bisher nur mit mäßigem Erfolg. Aber verzichten durfte man angesichts der Bedrohung nicht auf die geringste Möglichkeit.
Unerwartete Hilfe fand Perdór dort, wo er sie eigentlich nicht erwartet hatte. Das Inselreich Rogogard, dessen äußerste Insel direkt an Karet grenzte, beschloss, keinerlei Zusammenarbeit mit Tarpol einzugehen, und setzte seine Kaperfahrten gegen die
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