Unter Den Augen Tzulans
»Ulldrael wird dir bestimmt ein Zeichen schicken, Matuc.«
Waljakov erhob sich. »Ich werde mir eine Unterkunft suchen. Bei euch ist es zu eng für uns alle.« Er ging zur Tür. »Ich suche nach einer Möglichkeit, Geld zu verdienen, und schaue regelmäßig herein.« Seine grauen Augen vermittelten die unverrückbare Entschlossenheit. »Lorin wird bei mir in die Lehre gehen. Ich mache aus diesem mickrigen Zwerg den besten Krieger, den es jemals gab. Komm mir dabei nicht in die Quere, Matuc. Es steht mehr auf dem Spiel, und das weißt du genau.« Er nickte der Borasgotanerin freundlich zu und verschwand.
»Ich werde es nicht zulassen«, sagte der Geistliche leise und trommelte griesgrämig auf sein Holzbein. »Sturer Hund.«
»Sagt wer?«, erkundigte sich Fatja zuckersüß und räumte das Teegeschirr ab, bevor sie sich zu dem Mann setzte und seine Hand nahm. »Waljakov hat Recht. Mein kleiner Bruder wird von ihm lernen müssen. Wie sonst soll er gegen den Konsultanten bestehen? Mit dem Glauben allein bestimmt nicht.«
Er tätschelte ihren Kopf. »Ja, ich weiß ja.« Matuc wirkte nicht weniger entschlossen als der Krieger. »Aber ich werde dafür sorgen, dass er die Lehren des Gerechten unerschütterlich in sich trägt. Das Töten, wenn es sich nicht verhindern lässt, und die Macht der Magie werden sein gutes Wesen nicht zum Schlechten beeinflussen. Das wird ihm den notwendigen Rückhalt geben, wenn er sich seinem Schicksal stellt, wie immer es aussehen möge.«
Er stand auf und ging zu der mit einem Vorhang abgetrennten Nische, hinter der er das kleine Ulldraelstandbild, das ihm Blafjoll aus Walbein geschnitzt hatte, versteckte.
Fatja schaute ihm nach und ging zu ihrer Schlafkoje, als er mit seinen Gebeten begann.
Lorin hatte die Augen geschlossen und atmete mit langen, regelmäßigen Zügen.
Liebevoll gab sie dem Jungen einen Kuss auf die Stirn, stieg in ihr Nachtgewand und legte sich zu ihm.
Ulldart, Königreich Ilfaris, Herzogtum Sèràly, Sommer 449 n.S.
Die Landkarte Ulldarts verkündete die Wahrheit, und auch die besten Fälscher, die Perdór an der Hand hatte, konnten daran nichts ändern. Grenzverläufe hatten sich geändert, teilweise waren die dünnen roten Linien, die einst wie die Adern zwischen den Reichen gewirkt hatten, vollständig verschwunden.
Borasgotan gab es nicht mehr. Die agilen Truppen des Kabcar besetzten den Rest des Landes, der noch nicht im Sicherheitsgürtel gelegen hatte, unermüdlich und rastlos. Die Aufteilung in kleinere Einheiten erwies sich als strategisch geschickter Zug, die Soldaten blieben schlagkräftig und zugleich recht einfach zu verproviantieren.
Mit heftigem Widerstand musste keiner rechnen, die meisten Bewohner Borasgotans begrüßten die »Befreier«. Bevor die Tzulandrier und Tarpoler an einem Adelsgut angelangten, brannte es oftmals schon, und die Bauern präsentierten stolz die abgeschlagenen Schädel derer, die sie jahrelang unterdrückt und ausgebeutet hatten. Die Politik Arrulskhâns gegen die eigenen Untertanen rächte sich und machte es für die Eroberer leichter.
Dank der modernen Feuerwaffen, deren Stückzahl und Effizienz beständig stieg, bot eine alte Festung kein Hindernis mehr. Maximal eine Woche stärksten Beschusses bedurfte es, um die Burgen zu knacken, an denen man sich normalerweise die Zähne ausgebissen oder die größten Verluste eingehandelt hätte. Die letzten Soldaten Borasgotans sammelten sich im äußersten Osten des Reiches und wurden von heimlich an der Küste gelandeten Einheiten des Kabcar aus dem Hinterhalt niedergemacht.
Die einzige Schwierigkeit der tarpolischen Einheiten bestand sehr zur Freude des ilfaritischen Königs darin, sich den bodenschatzreichen Norden anzueignen. Das nomadische Volk der Jengorianer hatte Arrulskhân niemals vertraut und machte aus der völligen Ablehnung der neuen Herren keinen Hehl. Sie betrachteten die eisigen Gefilde als ihre Heimat und bekämpften die Eroberer mit gelegentlichen Überfällen, die so plötzlich und unerwartet erfolgten, dass eine Gegenwehr meist nicht möglich war.
Seufzend tauchte Perdór den dünnen Pinsel in die braune Farbe und übermalte mit akkuraten Bewegungen die Grenze zwischen Tarpol und Borasgotan. Das Gleiche tat er mit der Markierung zwischen Tûris und dem Stammgebiet des jungen Kabcar. Als es an die Grenzen zwischen den einstigen Baronien ging, musste er sich sehr auf seine Malerei konzentrieren.
Die Zunge in den Mundwinkel geklemmt und die graugrünen Augen
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