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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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»Hajo!«
    Hajos Reaktion war langsam, als er nach hinten schaute. Dann sprang er auf. »Mensch, Karl!« Sie umarmten sich.
    Karl tippte auf das goldene Verwundetenabzeichen. »Schön, daß es dich noch gibt!«
    Hajo verzerrte das Gesicht, als er wieder auf den Barhocker kletterte und dabei mit der Schuhspitze gegen den Tresen stieß. »Es war knapp. Drei Zehen vom rechten Fuß sind in Rußland geblieben.«
    »Scheiße«, sagte Karl.
    »Ja, Scheiße«, sagte Hajo, »aber immer noch besser, als die Radieschen von unten zu betrachten. Ich bin sogar schon wieder geflogen.«
    Es klang in Karls Ohren wie eine Entschuldigung. Er zog einen Barhocker heran. »Mensch, Hajo, erzähl! Seit wann bist du in Berlin? – Wohnst du im Adlon ?«
    »Ja, bleibe für zwei Tage hier, und angekommen bin ich vor einer Stunde. Ich hatte an der Rezeption für dich hinterlassen, daß ich da bin.«
    »Ich war im Keller«, sagte Karl. »Wir kriegen einen zusätzlichen Schutzraum. Ich mußte aufpassen, daß die Arbeiter keinen Wein wegfinden.«
    »Ist euer Lager immer noch so gut bestückt?«
    »Die Vorräte nehmen ab, aber wir können noch so manchen edlen Tropfen bieten. Jetzt erzähl du endlich! Wie ist es dir ergangen?«
    Hajo zeigte auf den Barmann. Er polierte am anderen Tresenende Gläser.
    »Der ist schwerhörig«, sagte Karl. »Luftmine.«
    An der Wand mit dem Flaschenregal hing ein Fernsprechapparat.
    »Telefon?«
    »Das ist koscher.«
    Hajo schenkte sich nach. »Du auch?«
    Karl winkte ab.
    Hajo nahm einen Schluck. »Es sieht total schlecht aus. Der Krieg im Osten ist mehr oder weniger verloren. Ich komme gerade aus Rußland. Vorher war ich in Afrika, da lief es auch beschissen. Und das ist gut so.«
    Karl zog die Augenbrauen hoch. »Das aus deinem Munde?«
    »Ja«, sagte Hajo. »Wir haben es nicht besser verdient.« Er sprach leise, und falls er wirklich die halbe Kognakflasche allein geleert haben sollte, so war es ihm nicht anzumerken. »Karl, was in Rußland passiert, spottet jeder Beschreibung.« Er lachte. Kein echtes Lachen. Die Karikatur eines Lachens. »In Tobruk habe ich gleich zu Beginn des Afrikafeldzugs einen Infanteriemajor getroffen, der mich an unseren Hauptmann Blum erinnert hat. Er war von Anfang an dabei. Polen, Dänemark, Norwegen. Was er mir über die Säuberungskommandos hinter der kämpfenden Truppe in Polen erzählt hat, war so haarsträubend, daß ich es nicht glauben mochte, bis ich …« Seine Stimme stockte. »Bis ich …« Hajo kippte den Rest Kognak aus seinem Glas hinunter. »… bis meine Staffel den Befehl erhielt, eine Schlucht zu bombardieren. Es war ein Nachteinsatz hinter unseren Linien, weil dort angeblich starke Partisanenverbände konzentriert sein sollten. Wir bekamen exakte Positionsangaben und griffen in drei Wellen an. Es war eine mondlose Nacht.« Die Stimme wurde tonlos. »Ich bin am nächsten Tag zufällig über das Gebiet geflogen und mußte ziemlich tief runter, weil mir auf meinem Kurs zwei von unseren schweren Transportmaschinen entgegenkamen.«
    Karl schaute seinem Freund in die Augen.
    Hajo wich dem Blick nicht aus, aber er sah durch Karl hindurch. Es waren Augen, die das Grauen gesehen hatten. »Wir hatten ein riesiges Gefangenenlager bombardiert, Karl.« Er atmete schwer. »Und das war kein Versehen, Karl.«
    Karl griff nach Hajos Glas, schenkte sich ein, trank.
    Hajo schwieg.
    Karl schwieg.
    Unvermittelt sagte Hajo: »Vera, was ist mit Vera? Geht es ihr gut? Seid ihr noch zusammen?«
    »Ja«, sagte Karl.
    »Ist sie in Berlin?«
    »Nein, aber nächsten Monat wieder. Sie ist zur Zeit auf Tournee in Frankreich, Truppenbetreuung.«
    Hajo rieb sich die Augen. »Geht es ihr wirklich gut?«
    »Ich denke, doch. Du kennst sie ja. Es muß schon sehr hart kommen, bis man ihr was anmerkt.«
    »Grüß sie herzlich von mir, wenn ihr euch wiederseht. – Was macht deine Mutter?«
    »Als es mit den Bombenangriffen immer schlimmer wurde, ist sie zu ihrer Schwester nach Bernau gezogen. Ich fahre sie besuchen, sooft ich kann. Veras Eltern sind auch weg, zur ältesten Tochter, aufs Land, irgendwo in Thüringen. In das Wohnhaus neben der Laube ist eine Brandbombe gefallen.«
    »Deine Bude steht noch?«
    Karl nickte. »Ich bleibe aber meistens im Hotel, wenn Vera nicht in Berlin ist. Es ist so eine Sache mit der S-Bahn. Die Gleise sind oft zerbombt. Man repariert sie zwar so schnell wie möglich, aber das kann schon mal einen Tag dauern.«
    »Von oben sieht Berlin pockennarbig aus. Und ich sage dir,

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