Unter den Linden Nummer Eins
ging ihn begrüßen. Ein ergrauter Oberkellner wurde herbeigerufen. Canaris wünschte in einem Séparée zu speisen. Louis Adlon verließ mit Canaris das Restaurant.
Die männliche Belegschaft des Adlon bestand nur noch aus den ganz jungen Lehrlingen und Pagen und aus älteren Männern. Fritzchen war in Rußland, Henry, der Barmann, kämpfte irgendwo auf dem Balkan. Faß-Rüdiger war in Norwegen gefallen. Auch in der Ju-Jutsu-Schule von Erich Rahn war es ruhig geworden. Benno schwamm auf einem Schnellboot vor der holländischen Küste. Der Weiße Riese war in englischer Kriegsgefangenschaft. Es wurde in der Bahnhofstraße noch trainiert, aber selten waren mehr als drei, vier Leute auf der Matte.
Wieder betraten drei Männer das Restaurant. Der Oberkellner eilte ihnen entgegen.
»Wer ist das?« Holtsen betrachtete interessiert die seltsame Gruppe.
Der Mann in der Mitte trug ein arabisches Gewand und als Kopfbedeckung ein Beduinentuch. Sein Profil erinnerte an die Judenkarikaturen im Stürmer . Er wurde von zwei ebenfalls sehr semitisch aussehenden Recken flankiert, die deutsche Offiziersuniformen trugen und den Kopftuchträger mit größter Ehrerbietung behandelten.
»Das ist der Großmufti von Jerusalem, ein Todfeind der Engländer«, sagte Karl und sprach langsam und deutlich weiter: »Wir haben die Ehre, ihn im Adlon beherbergen zu dürfen.«
»Er heißt mit vollem Namen Mohammed Hadschi Amin Al Hussaini und ist so eine Art muslimischer Bischof«, sagte Klempert.
Holtsen zog die Augenbrauen hoch. »Sieh an, der Großmufti von Jerusalem hier! Na dann ist er ja in Sicherheit. Auf diesen Herrn haben die Briten ein stattliches Kopfgeld ausgesetzt.«
Einer von Canaris’ Adjutanten erschien, der Großmufti und seine Begleiter folgten ihm.
Holtsen blickte in die Runde. Es war lauter geworden im Restaurant. Die Jagdflieger tranken französischen Schaumwein. Alkohol war teuer, aber nicht rationiert, und der Weinkeller des Adlon war noch immer gut gefüllt.
Das Dessert wurde gebracht, als der Gong ertönte. Bernardo Mattezze war wieder einer der ersten, der sich in Richtung Bunker aufmachte.
»Am liebsten würde er rennen«, sagte jemand.
Karl drehte sich um. Es war der Kriegsberichterstatter, den er in der Halle getroffen hatte. Ein Fliegerleutnant machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Wir können noch aufessen«, sagte Karl. »Das ist bloß die Vorwarnung.«
Bis auf den Gazzetta del Popolo -Korrespondenten verzehrten alle den Nachtisch.
Die Flieger hatten die Sektflaschen in den Bunker mitgenommen. Sie standen im Mittelgang und tranken aus Wassergläsern, die ihnen ein Kellner aus der Behelfsküche im Prominententrakt gebracht hatte. Canaris, der Großmufti und deren Gefolgschaft stiegen die Treppe zur untersten Bunkeretage hinab. Bunkerwart Stanner salutierte zackig.
Holtsen hatte Randhuber entdeckt und gesellte sich zu ihm. Karl saß neben Obier auf einer schmalen Holzbank hinter der Gasschleuse. Der vordere Teil der Bunkeretagen war spartanisch eingerichtet, um möglichst viele Leute aufzunehmen.
Burmeister führte einen Nachzügler durch die Schleuse.
»Mensch, Karl, das ist doch der Baron!« flüsterte Obier.
Baron de Neva und Burmeister schlängelten sich durch die Gruppe der Jagdflieger.
»Ich glaub, ich spinne, Oskar!« Karl stand auf. Burmeister führte de Neva an den beiden Gestapowachen vorbei zum Treppenschacht. Karl setzte sich wieder.
»Wohnt der bei uns?«
»Nee«, sagte Karl. »Das würde ich wissen.«
Ein leichtes Vibrieren ging durch den Bunker.
»Das war nicht weit weg«, sagte Obier.
Die Beleuchtung, eine nackte Glühbirne über ihnen, begann zu flackern. Die Vibrationen wurden stärker.
»Guck mal, Oskar!« Karl reckte das Kinn.
Bernardo Mattezze befingerte einen Rosenkranz.
5.
H AJO ERZÄHLT
Ein einzelner Gast saß am Tresenende der Adlon -Bar. Karl traute seinen Augen nicht: Hajo!
Der Freund wirkte um Jahre gealtert. Vor ihm stand ein Kognakschwenker und eine halbvolle Flasche Courvoisier . Er starrte ins Glas und hatte Karls Eintreten nicht bemerkt. Am Hals baumelte ein Ritterkreuz. Er war jetzt Oberstleutnant. Ein müder Oberstleutnant mit dunklen Augenrändern, einer, der wochenlang zuwenig geschlafen und zu unregelmäßig gegessen hatte.
Der Hajo in Karls Erinnerung war ein drahtiger Athlet, der Oberstleutnant Galgon vom Jagdgeschwader Kesselring war ein ausgelaugter, dürrer Mann, der zu träumen schien.
Karl legte ihm die Hand auf die Schulter.
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