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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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niedergelassen und ließen nur ein absolutes Minimum an Personal in Berlin. Die Anreise der Diplomaten zum jour fixe im Adlon gestaltete sich oft zu einer zeitraubenden Slalomfahrt durch zerstörte Straßenzüge.
    »Doktor Ören hat von der Telefonzelle am Rosenthaler Platz angerufen, ob du ihn abholen könntest. Sein Jaguar hängt fest. Gleich zwei platte Reifen. Ein Schutzmann hat versprochen, sich um das Abschleppen zu kümmern, aber ein Taxi konnte er nicht auftreiben.«
    »Ist denn ein Wagen da?«
    »Mit einer gültigen Nachtfahrtgenehmigung nur Obiers Fiat.«
    »Geht klar, ich mach mich auf den Weg.«
    Karl mochte den zuvorkommenden Doktor Ören. Er war ein leitender Botschaftsrat in der türkischen Vertretung, der in der ganzen Welt herumgekommen war. Seine Fremdsprachenkenntnisse waren frappierend, sein Deutsch makellos. Karl hatte ihm einmal eine kleine Gefälligkeit erwiesen und war daraufhin zu einem Empfang in der Botschaft eingeladen worden. Es hatte ein orientalisches Büfett gegeben, und ein Sänger hatte sich auf einer Saz zu anatolischen Liedern begleitet. Karl hatte für ein paar kurze Stunden vergessen können, daß Krieg war.
    »Wirklich, das nenne ich perfekten Adlon -Service, Herr Meunier!« Doktor Ören stieg ein. Sein Fahrer blieb beim Jaguar. »Der Polizist ist so nett und wartet, bis der Abschleppwagen kommt. Ali spricht nämlich überhaupt kein Wort Deutsch.«
    »Der Wachtmeister hat sich nicht mal meine Papiere zeigen lassen.«
    Doktor Ören lächelte. »Bisweilen wirkt ein Diplomatenpaß Wunder.«
    »Durchaus!« sagte Karl. Als er anfuhr, salutierte der Polizist.
    Karl fuhr im Schrittempo. Jede kleine Taschenlampe leuchtete heller als die Lichthalbkreise, die durch die Scheinwerferschlitze auf den Straßenbelag fielen. In der Burgstraße waren mehrere Häuser eingestürzt. Stangen, mit weißer Leuchtfarbe bestrichen, markierten die Trümmerhaufen auf der Fahrbahn.
    »Mittwoch vor zwei Wochen standen die Gebäude noch«, sagte der Türke.
    »Hier sind seitdem viele Luftminen niedergegangen.« Karl steuerte den Fiat über den Bürgersteig der Gegenfahrbahn, folgte weißen Leuchtpfeilen.
    »Die Universität steht?«
    »Es gab Treffer, aber offenbar keine schlimmen.«
    »Erwähnte ich Ihnen gegenüber eigentlich, daß mein Sohn in Ankara studiert?«
    »Ich meine mich nicht zu erinnern, Herr Doktor.«
    »Er kommt sehr nach mir. Das werden viele Väter behaupten, aber es stimmt in Ünals Fall. – Er liebt, wie ich, Fremdsprachen.«
    »Das freut mich für Sie.«
    Ein Bombentrichter Unter den Linden war nur behelfsmäßig zugeschüttet worden, der Fiat schaukelte.
    »Ich bin vorige Woche in der Türkei gewesen, deshalb war ich auch nicht beim letzten jour fix .«
    »Ist es mir gestattet, Sie um diese Reise zu beneiden?«
    »Es ist, Herr Meunier.« Er seufzte. »Keine Verdunklung, keine Luftschutzkeller und Alarmsirenen. – Frieden ist ein kostbares Gut. Man lernt es erst richtig schätzen, wenn man wieder durch Ruinen fährt.«
    »Ich bin früher viel herumgekommen, war aber leider nie lange in der Türkei.«
    »Es ist ein Land mit vielen Gesichtern, Herr Meunier, ein spannendes Land. In Zentralanatolien gibt es noch Nomaden, die wie ihre Vorväter leben, während in Ankara und Istanbul die Studenten über neueste Strömungen in der amerikanischen Literatur reden oder mit französischen Exilliteraten diskutieren – wie mein Sohn.«
    »Ist Ihr Herr Sohn Romanist?«
    »Ja«, sagte Doktor Ören. »Sosehr ich auch geflucht habe, als die Panne eben passiert ist, sie hat mir doch meine Mission um einiges erleichtert.« Er lächelte Karl an, entblößte die Zähne unter dem imposanten Schnurrbart. »Mein Sohn promoviert bei einem gewissen Professor Blum, und ich habe einen Brief für Sie dabei.«

7.
    V ÖLKISCH GETARNTE D ÖBLINS UND FRANZÖSISCHE O LIVEN
    Karl saß hinter der Stellwand mit den deutschen Klassikern und blätterte im Faust . Fräulein Polzin wartete, bis der letzte Kunde die Buchhandlung verlassen hatte, dann drehte sie den Schlüssel in der Ladentür um und ging nach hinten ins Packzimmer. Sie kam mit einem in Zeitungspapier eingeschlagenen Päckchen zurück. Zwei Marineoffiziere klopften gegen das Schaufenster. Die Buchhändlerin bedeutete ihnen, daß Mittagspause sei, und trat hinter die Stellwand. Karl hatte, als er das Klopfen gehört hatte, vorsichtig um die Ecke geschaut.
    »Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten«, sagte er und lachte. »Natürlich habe ich nicht Sie

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