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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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aus beobachtet. Unzählige Kassners hatten sich heiser geschrien: »SIEG HEIL! SIEG HEIL! SIEG HEIL!«
    In den Kneipen tauchte Cognac auf, Marc de Champagne, Chartreuse. So manche Fabrikarbeiterin trug zum ersten Mal in ihrem Leben kostbare Seidenunterwäsche. Niemand fragte, woher der Champagner stammte, den der Sohn, der Vater oder Onkel zur Familienfeier mitbrachte. Hitler hatte gewonnen, die Schmach von Versailles war getilgt. – Hatten die Leute gejubelt, weil sie glaubten, der Krieg wäre nun bald aus?
    Jetzt standen Rommel in Nordafrika und deutsche Truppen vor Moskau. Tee aus Grusinien gab es auch nicht mehr, das verhinderte die Rote Armee hartnäckiger, als es vom Oberkommando der Wehrmacht eingeplant worden war. Bisweilen gelang es Louis Adlon, über einen Kanal in der japanischen Botschaft Chinatee zu kaufen, Lapsang Souchong . Aber der kräftige Rauchtee schmeckte den wenigsten. Überall wurde gesiegt, aber die vielen Invaliden im Stadtbild bezeugten, daß Rußland sich besser zu wehren wußte als Polen oder Frankreich. Es gab nichts zu beschönigen.
    »Der Kampf ist hart und bitter«, mußte sogar der Völkische Beobachter eingestehen. Die Fahrgäste lasen mit versteinerten Gesichtern. Am Vortag hatte Karl die Frankfurter Zeitung gekauft: »Wir haben es mit dem schwierigsten Gegner zu tun, dem wir bisher gegenüberstanden.« Bei den Todesanzeigen war ihm aufgefallen, daß häufig das »Für Führer« fehlte.
    Der Zug rollte langsam in den Tiefbahnhof der Station Unter den Linden ein. Karl, der in Rußland gekämpft hatte, dachte: ›Das Oberkommando der Wehrmacht muß aus einem Haufen von Irren bestehen. Die Weite des Landes und General Winter haben bisher alle Invasoren besiegt.‹
    Selbst das kleine Malta hielt stand.
    »HMS-St. Angelo versenkt!« hatte der OKW-Sprecher in einer Sondermeldung in den Frühnachrichten gemeldet. Karl hatte laut lachen müssen.
    »Was ist?« Vera hatte Karl erstaunt angeschaut.
    »HMS heißt Her Majesty’s Ship. St. Angelo ist kein Schiff. St. Angelo ist ein Fort, solider Fels!«
    Der Leutnant im Zug schloß die Augen. Seine Hände massierten den Oberschenkel. Karl stieg aus.
    Der Pariser Platz, die Ost-West-Achse, viele markante Straßen und ein Teil der Gewässer waren mit Tarnnetzen überspannt worden, um den amerikanischen und englischen Bombern die Orientierung zu erschweren. Am 11. November 1942 hatte Hitler obendrein den USA den Krieg erklärt, und das Adlon hatte aufgehört, das Hotel der Amerikaner zu sein. Der Austausch der Diplomaten und Journalisten wurde wieder von der Schweiz organisiert. Der Presseclub tagte weiterhin regelmäßig in der Bar: Journalisten der Achsenmächte und Berichterstatter aus neutralen Staaten.
    Als Karl das Adlon betrat, hörte er schon die melodischen Gongschläge. Bei Fliegervoralarm liefen Pagen durch das ganze Haus und schlugen mit Filzklöppeln gegen bronzene Klangscheiben. Sie erinnerten Karl jedesmal an die Klangkörper im Buddhistischen Haus in Frohnau. Voralarm bedeutete, daß die Hotelgäste Zeit genug hatten, um ihr Notgepäck zu packen und ohne Eile in den Tiefbunker zu gelangen.
    Bernardo Mattezze, der italienische Korrespondent, war stets einer der ersten, die sich im Bunker einfanden. Als er durch die Halle zum Treppenhaus stürmte, rief ihm ein deutscher Kriegsberichterstatter, der gerade erst aus Nordafrika zurückgekommen war, spöttisch nach: »Aber Herr Kollege! Wohin so eilig? Lassen Sie uns noch eine Zigarette rauchen, unten ist es verboten!«
    Der Kriegsberichterstatter grinste Karl an. »Flitzen, das können die Itaker, und wir müssen den Karren aus dem Dreck ziehen.« Karl setzte sich zu dem Mann, akzeptierte die von Mattezze verschmähte Zigarette. »Wie sieht es bei Rommel aus?«
    »Gemütlich war es nicht, das kann ich Ihnen versichern, aber der Wüstenfuchs wird es schon schaffen.« Er blies den Rauch in die Richtung des davongeeilten Mattezze. »Auch ohne diese Brüder!«
    Den Bunkereingang erreichte man durch den Friseursalon im Souterrain, man passierte eine Gasschleuse und bekam dann einen Raum zugewiesen. Der Bunker war dreistöckig. Im obersten Geschoß und in der Mitteletage waren die Aufenthaltsbereiche der Gäste und des Personals. Ursprünglich hatte es Zimmer für Prominente gegeben, ausgestattet mit bequemen Sesseln, Teppichen, Radioapparat, aber da auch aus den umliegenden Gebäuden viele Menschen den Adlon -Bunker aufsuchten, war die Unterteilung weitgehend aufgehoben worden. Ein

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