Unter den Sternen des Südens: Australien-Saga (German Edition)
Trauer, dann würde er vielleicht verstehen, dass sie versuchte, diese zu bewältigen, indem sie sich auf Kyleena konzentrierte, auf ihre Zukunft. Aber ihr Vater hatte offenbar kein Interesse daran, sie zu verstehen.
Sei’s drum, sie musste die Kadaver herausziehen, bevor sie das Wasser verseuchten. Nachdem sie das freie Seilende um den Hinterlauf eines der Tiere gebunden hatte, fuhr sie vorsichtig mit dem Quad an und zog den Kadaver langsam hinter sich her. Sie lenkte zu einer Baumgruppe, wo das Schaf seine letzte Ruhe finden würde, atmete dabei durch den Mund, um den Gestank nicht einatmen zu müssen, löste das Seil und fuhr zurück an die Wasserstelle, um das andere tote Tier herauszuziehen.
Als die Sonne sich dem Horizont zuneigte, machte Amanda sich auf den Heimweg. Sie wusste, dass ihr Vater in seinem Büro sitzen, Radio hören und Bier trinken würde. Ihr aus dem Weg gehen wollte.
In ihrer Kindheit war das Haus voller Leben und Fröhlichkeit gewesen, voller Lachen und Freude. Ihre Mutter, Helena, eine begnadete Köchin und Gärtnerin, hatte nicht nur geholfen, die Farm zu bewirtschaften, sondern zudem ihren eigentlichen Beruf als Journalistin ausgeübt, indem sie hin und wieder Beiträge für die Lokalzeitung schrieb. Seit Helenas Tod verwilderte der Garten, und das Haus hatte seine Behaglichkeit verloren. Es schien zu verstehen, dass seine Bewohner sich langsam selbst zerstörten.
Als Amanda die Tür zum Arbeitszimmer ihrer Mutter öffnete, schlug ihr sofort der neue Geruch entgegen. Endlich roch es frisch und sauber, als wäre wieder Leben eingekehrt. Als Amanda sich nicht lange nach dem Unfall das erste Mal überwunden hatte, das Zimmer wieder zu betreten, roch es noch nach ihrer Mutter. Nach ihrer Körperlotion, ihrem Shampoo, ihrer Seife. Das Buch, das sie zuletzt gelesen hatte, lag auf dem Couchtisch und auf dem Schreibtisch der unvollendete Artikel, an dem sie zuletzt gearbeitet hatte.
Im Laufe der Monate war Helenas Duft jedoch verblasst, und als sich ein muffiger, abgestandener Geruch ausbreitete, wusste Amanda, dass sie reagieren musste. Sie brachte es nicht über sich, das Lieblingszimmer ihrer Mutter verwaisen zu lassen. Deshalb hatte sie vor zwei Wochen ihren Computer hier aufgebaut und das Zimmer für sich hergerichtet. Mit grimmiger Miene hatte ihr Vater beobachtet, wie sie die Vorhänge weit aufzog, Staub von den Möbeln wischte und eine Vase mit Lavendelblüten in der Lieblingsfarbe ihrer Mutter auf den Schreibtisch stellte. Er weigerte sich, auch nur einen Fuß in das Zimmer zu setzen, und schimpfte, das sei Helenas Reich, und nichts darin dürfe verändert werden.
Amanda hatte ihn ignoriert. Jetzt öffnete sie das Fenster und setzte sich auf die bequeme Couch, auf der ihre Mutter an Regentagen es sich immer mit einem Buch gemütlich gemacht hatte, die Beine angezogen, die langen, dunklen, gewellten Haare über der Rückenlehne drapiert.
Auf dem Schreibtisch stand ein Bild, das Helena, Brian und Amanda als Kind im Garten zeigte. Amanda konnte sich noch genau an den Tag erinnern, an dem die Aufnahme entstanden war. Der Regen nach der Dürre war gekommen wie aus dem Nichts. Plötzlich frischte der Wind auf und kühlte die Hitze ab, was ihre Mutter in ihrem dünnen Sommerkleid jedoch nicht beeindruckt hatte. Mit ausgebreiteten Armen, das Gesicht zum Himmel gewandt, hatte sie im Regen getanzt und vor Freude und Hoffnung gelacht. Ihr Vater war aus der Scheune gerannt und hatte ihre Mutter in den Arm genommen, und zusammen hatten sie über den Regen gejubelt, während ihr einziges Kind von der Veranda aus erstaunt zusah.
Dreiundfünfzig ist zu jung zum Sterben, dachte Amanda, und Tränen schossen ihr in die Augen. Und zweiundzwanzig ist zu jung, um seine Mutter zu verlieren. Sie vergrub das Gesicht im Kissen, in der Hoffnung, einen Hauch des verblassten Dufts ihrer Mutter zu riechen.
In der Nacht erwachte Amanda aus unruhigem Schlaf. Da sie Durst hatte, tapste sie in Richtung Küche. Plötzlich horchte sie auf, weil aus dem Zimmer ihres Vaters seltsame Geräusche drangen. Sie blieb stehen, um anzuklopfen, zögerte aber, als sie ein herzzerreißendes Schluchzen vernahm und leises Gemurmel. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen kleinen Spalt und spähte in das Zimmer. Am Fußende des Betts stand ihr Vater, mit dem Rücken zu ihr. Seine Schultern zuckten, während er weinte. In der Hand hielt er ein Porträt von Helena, in dessen Silberrahmen das Mondlicht reflektierte, das durch die
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