Unter den Sternen von Rio
nicht fair António gegenüber, den nun jeder für den Kindsvater halten würde. Ihre Eltern würden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um António zur Rechenschaft zu ziehen. Aber sie konnte ja jetzt unmöglich die ganze Wahrheit erzählen, dass nämlich der Vater ihres armen Kindchens wieder ein anderer war. Das hätte ihren Eltern den Rest gegeben, und sie selber wäre auf immer als loses Frauenzimmer gebrandmarkt.
So kam es, dass wenige Tage nach Alices falschem Geständnis ein ältliches Ehepaar samt Tochter vor Antónios Tür stand und eine Unterredung wünschte. Als António seine »Braut« sah, als er ihre beschämte Miene wahrnahm sowie das entschlossen vorgeschobene Kinn ihres Vaters, schwante ihm Übles. Alice hatte doch wohl nicht etwa …?
»Sind Sie der Ehemann meiner Tochter?«, polterte ihr Vater los.
Oh doch, sie hatte. Verflucht!
António zog eine Augenbraue hoch. »Nein, das bin ich nicht.«
Der Mann zog eine Urkunde hervor und wedelte damit vor Antónios Gesicht. »Das hier, junger Mann«, sagte er mit vor Wut bebender Stimme, »beweist das Gegenteil.«
»Das beweist nur, dass ich mit Ihrer Tochter vor einen bestechlichen Padre getreten bin, der immerhin so viel Nächstenliebe besaß, eine junge Frau in anderen Umständen zu trauen, und sei es auch nur zum Schein. Ohne eine standesamtliche Trauung bin ich nicht der Mann Ihrer Tochter.«
»Willst du uns nicht hereinbitten?«, fragte Alice. Es war ihr peinlich, ein solches Gespräch im Hausflur führen zu müssen.
»Nein.«
»Werden Sie jetzt nicht noch frech!«, fuhr ihr Vater fort. »Erst bringen Sie meine Tochter in solche Schwierigkeiten, und dann besitzen Sie auch noch die Stirn, uns an der Tür abzufertigen wie irgendwelche Bittsteller.«
»Sie
sind
Bittsteller, oder sollte ich mich da täuschen? Sie wollten mich doch bitten, mit Ihrer Tochter vor einen Standesbeamten zu treten, oder nicht?«
»Eine Bitte würde ich es nicht nennen. Ich werde Sie dazu zwingen, wenn nötig.«
Alice und ihre Mutter verfolgten den Wortwechsel zwischen den Männern schweigend. Sie hielten einander an den Händen und sahen äußerst verlegen aus.
»Sie sollten erst einmal Ihre Tochter zwingen, Ihnen die ganze Wahrheit zu gestehen, bevor Sie versuchen, mir eine Vaterschaft anzuhängen, die ich nicht zu verantworten habe.« Er sah zu der jungen Frau, die er einmal für eine Freundin gehalten hatte. »Alice, sag deinen Eltern doch bitte, dass ich nicht der Schuldige bin.«
Alice starrte auf ihre Schuhspitzen und schüttelte den Kopf.
»Was soll das? Traust du dich nicht, ihnen zu sagen, mit wem du herumgehurt hast?«
»Sie unverschämter Bastard!«, ereiferte sich Alices Vater.
»Der einzige Bastard hier befindet sich im Bauch Ihrer Tochter.«
Bevor die Ohrfeige, zu der Alices Vater ausholte, seine Wange treffen konnte, schloss António die Tür.
»Das wird ein Nachspiel haben!«, hörte er den Mann wüten. Wer sollte es ihm verdenken? Alices Eltern traf keine Schuld. Sie glaubten, was ihre verlogene Tochter ihnen aufgetischt hatte. Und in ihm, António Carvalho, hatten sie den perfekten Sündenbock ausgemacht. Nein, falsch: Er selber hatte sich zum Sündenbock gemacht. Er hätte sich nie auf diese blödsinnige falsche Trauung einlassen sollen.
Weil der Bauch ihrer Tochter immer dicker wurde und die Schmach immer größer, ließ man das Gerücht von Alices Ehe mit António Carvalho durchsickern. Zunächst galt es nur, die nähere Umgebung von bösem Gerede abzuhalten. Doch je öfter die Geschichte erzählt wurde, desto wahrer wurde sie. Nach einer Weile glaubte sogar Alice selber daran, dass António und sie eine tragische Liebe verband, die sie vor aller Welt geheim gehalten hatten. So klang sie sehr überzeugend, als sie die Geschichte Antónios Eltern auftischte, unter herzerweichenden Schluchzern und dank des guten Zuredens ihrer Mutter.
Doch die Carvalhos waren vorgewarnt. António hatte ihnen seine Version erzählt, und da sie ihren Sohn kannten, glaubten sie ihm. Sie würden diese Betrügerin keinesfalls als ihre Schwiegertochter anerkennen, noch würden sie ihr Geld geben. Denn das war es ihrer Ansicht nach, worauf diese Leute aus waren. Darauf lief es doch letztlich immer hinaus im Leben: Geld.
Einzig die Frage, wie ihr sonst so schlauer Sohn so dumm hatte sein können, seine Unterschrift auf die kirchliche Urkunde zu setzen, bereitete ihnen Kopfzerbrechen. Denn dieses Dokument war es, das die Familie der falschen Braut als
Weitere Kostenlose Bücher