Unter den Sternen von Rio
fünf Minuten, ja? Ich bin gleich bei dir.« Damit verschwand sie, um sich ausgehfein zu machen.
Im Botanischen Garten setzten sie sich an den Teich mit den Riesen-Seerosen.
Vitória régia
hieß die Gattung, wie ein Hinweisschild ihnen verriet. Die Blätter hatten einen Durchmesser von rund einem Meter, ein paar Vögel stakten darauf herum. Es war ein schöner Anblick, der dem Auge erlaubte, sich daran auszuruhen. Für ein ernstes Gespräch war der Platz ideal gewählt, da man einander nicht unbedingt in die Augen sehen musste, sondern geistige Nähe auch durch die gemeinsame Kontemplation dieses Wunders der tropischen Flora entstand.
»Vitória, wie passend«, meinte León nachdenklich. »Die Pflanze ist genauso schön und stark wie deine Mutter.«
»Und genauso … raumfüllend.«
»Sie kann nichts dafür. Es ist ihre Natur.«
»Sie macht sich breit und erdrückt alles andere an der Oberfläche des Teichs.«
»Aber sie tut es ja nicht mutwillig. Sie kann einfach nicht anders«, verteidigte León die Pflanze und seine Frau gleichermaßen.
»Aber das ist es nicht, worüber du mit mir sprechen wolltest, oder?«, fragte Ana Carolina ungeduldig. Sie wollte den Sermon, den sie von ihrem Vater erwartete, schnell hinter sich bringen.
»Nein. Ich wollte mit dir über die Ehe reden.«
Oh nein! Ana Carolina sah ihre schlimmsten Befürchtungen wahr werden. Sie hoffte nur, dass er sie jetzt nicht mit den Bienen und den Blüten quälen würde. Sie wand sich bereits innerlich vor Scham. »Ja?«, fragte sie.
»Es gibt nur einen Grund, jemanden zu heiraten, und das ist die Liebe.«
Soso. Das versprach interessanter zu werden, als sie geglaubt hatte. »Ja?«, ermunterte sie ihn fortzufahren.
»Eine ungewollte Schwangerschaft ist zum Beispiel kein guter Anlass für eine Hochzeit.«
»
Pai,
ich bin nicht in anderen Umständen!«
»Ich weiß, Schatz, ich weiß. Es sollte ja nur ein Beispiel sein. Wärest du schwanger, müsstest du nicht heiraten. Ich wollte nur, dass du das weißt. Ein unerwünschtes Kind kannst du lieben. Einen aufgezwungenen Ehemann nicht.«
»Aber ich heirate den Mann, den ich liebe.«
»Ist das so?«
Ana Carolina sah von den Seerosen auf und zu ihrem Vater hin. Auch er schaute sie an. Sie errötete. Was wusste er? Die beste Methode, das herauszufinden, war, zu nicken und ihn einfach weiterreden zu lassen.
»Jeder bei uns im Haus hat mitbekommen, dass du einen ziemlich hartnäckigen Verehrer hast. Und es ist ebenfalls keinem entgangen, dass du in letzter Zeit ein wenig launisch bist, um es mal freundlich auszudrücken. Du hast deine Cousine aus dem Haus geekelt, und du bist unausstehlich zu Henrique. Uns gegenüber, deinen Eltern, gibst du dich nur noch mürrisch, und das Personal fängt auch schon an, sich über deine ungerechten Wutausbrüche zu beschweren. Was ist los, Ana Carolina? Hat es irgendetwas mit diesem Mann zu tun? Dem Rosenkavalier?«
Das Nein blieb ihr in der Kehle stecken. Sie spürte die Tränen aufsteigen. Warum gelang ihr jetzt nicht, was sie wochenlang tagtäglich praktiziert hatte, nämlich die ganze Geschichte einfach als blöden Einfall eines Spinners abzutun? Sie schluckte und hoffte, dass ihr Vater nicht ihre zusammengekniffenen Lippen und ihre feuchten Augen bemerkte.
»Denn wenn es etwas mit ihm zu tun hat, musst du dir selber gegenüber ganz ehrlich sein und dich fragen, ob du wirklich Henrique heiraten willst, wenn du einen anderen liebst.«
Nun gab es kein Halten mehr. Ana Carolina heulte laut auf und warf sich in die Arme ihres Vaters. »Ach,
papai,
du hast ja keine Ahnung!« Ihr ganzer Körper bebte unter den Schluchzern, und León klopfte ihr besänftigend auf den Rücken. Er fühlte sich hilflos. Mit Wutattacken und bösen Schimpftiraden hatte er gelernt umzugehen, nicht aber mit weiblicher Schwäche.
»Nein, Schatz, ich habe in der Tat keine Ahnung«, sagte er. »Aber du kannst mir alles sagen. Es gibt nichts, wirklich gar nichts auf der Welt, was mich je davon abhalten würde, dich vorbehaltlos zu lieben und zu unterstützen. Und weißt du, Liebes, manche Dinge erscheinen nur dem schrecklich, der sie gerade durchlebt. Aus der väterlichen Distanz heraus sind sie womöglich nur halb so schlimm.«
»Ich will aber, dass du sie auch schrecklich findest. Ich möchte nicht, dass du mich von oben herab behandelst und meine Probleme belächelst, als handele es sich nur um eine Tragödie von der Art einer kaputten Puppe oder eines verlorenen Balls.«
»So habe
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