Unter den Sternen von Rio
vermeintlichen Beweis für Antónios Vaterschaft ansah und, so sah es Roberto Carvalho, dessen Ruf nachhaltig schädigen konnte.
Er sollte sich nicht täuschen. Das Gerücht von der überstürzten Eheschließung machte schnell die Runde in den gehobenen Gesellschaftsschichten. So erfuhr auch Vitória Castro da Silva davon. Und da sie längst wusste, wer der heimliche Verehrer ihrer Tochter war, schlug sie sich zunächst vor Begeisterung auf die Schenkel. Ha! Das war doch wieder einmal typisch für dieses Carvalho-Pack – der feine Herr Sohn wurde Vater und hatte heiraten müssen! Fuhr in einem angeberischen Bugatti durch die Gegend – der ihr übrigens, dank ihres guten Drahts zum Hafenmeister, Aufschluss über die Identität des Besitzers gegeben hatte –, spielte sich als großes Tier in der Aeronautik auf und gab ganz den fortschrittlichen Geist, nur um dann in die älteste Falle der Welt zu tappen. Köstlich!
Darüber, ob Ana Carolina in letzter Sekunde einen anderen Mann bevorzugte, brauchte sie sich also keine Gedanken zu machen. Selbst wenn ihre Tochter unsterblich in diesen António verliebt sein sollte, würde sie ihn nicht heiraten können. Der Hochzeit mit Henrique stand also nichts im Weg. Oder doch? Die ganze Geschichte, über die man sich in den Salons die Mäuler zerriss, war nicht wirklich schlüssig. Wieso hatte es keine Hochzeitsfeier gegeben? Wieso sah man das »junge Glück« nie gemeinsam? Der Privatdetektiv, den Vitória angeheuert hatte, um António nachzuspionieren, hatte ihn kein einziges Mal in der Gesellschaft seiner frischgebackenen Ehefrau Alice beobachten können. Auch hatte er von keinerlei Damenbesuchen zu berichten gewusst. Das war doch nicht normal für einen jungen Mann von blendendem Aussehen. Denn attraktiv war er ja, wie Vitória ihm trotz seiner unedlen Herkunft zugestehen musste.
Vielleicht sollte sie doch der Version Glauben schenken, die von den Carvalhos selbst erzählt wurde, wonach die junge Frau sich mit einem gefälschten Dokument eine Ehe mit dem reichen Erben ergaunern wollte? Zwar durfte man, wie sie aus eigener Erfahrung wusste, den Carvalhos gar nichts glauben, diesem Lügenpack. Aber in diesem Fall klang ihr deren Version sogar halbwegs plausibel. Das wiederum würde bedeuten, dass der schöne António ledig war und damit frei, ihre Tochter zu umwerben. Und obwohl Vitória großes Vertrauen in den gesunden Menschenverstand von Ana Carolina besaß, war ihr bei dieser Sache etwas unwohl. Die Liebe schaltete den Verstand der Menschen ja zuweilen aus. Sie würde auf Nummer sicher gehen und dafür sorgen, dass es auf keinen Fall zu einem Wiedersehen zwischen Ana Carolina und António Carvalho kam. Denn eine Verbindung der beiden war undenkbar. Eine Katastrophe. Wie sie das anstellen sollte, wusste sie noch nicht genau. Aber ihr würde schon etwas einfallen. Ihr fiel immer etwas ein.
León würde sie natürlich nicht einweihen können. In Herzensangelegenheiten benahm er sich manchmal wie ein junger Wirrkopf. Seine romantische Ader war, trotz all der Jahre an ihrer Seite und trotz der Lehren, die das Leben einem erteilte, so ausgeprägt wie eh und je. Die bewegende Geschichte von zwei Liebenden, die nicht zusammenkommen dürfen, würde ihn am Ende noch dazu veranlassen, sich auf deren Seite zu schlagen. Das konnte sie nicht zulassen.
León tat sich ungleich schwerer als seine Frau mit der Frage, ob er sie nun an seinem – unredlich erworbenen – Wissen teilhaben lassen sollte oder nicht. Er beschloss, vorerst nicht mit Vita über diesen vermaledeiten Brief zu sprechen, sondern zunächst mit seiner Tochter. Am besten jetzt gleich. Die Gelegenheit war günstig. Vita war außer Haus, Ana Carolina war oben und widmete sich ihrer Korrespondenz.
»Ana Carolina?«, rief León das Treppenhaus hinauf.
»Ja? Was gibt es,
pai?
«, kam es aus dem oberen Flur. Kurz darauf sah León seine Tochter am Treppengeländer.
»Hast du Zeit, mich in den Jardim Botánico zu begleiten? Und mich dorthin zu kutschieren?«
Ana Carolina wunderte sich. Es war eine halbe Ewigkeit her, dass ihr Vater den Wunsch geäußert hatte, sie möge ihn irgendwohin begleiten. Bestimmt schwebte ihm ein Vater-Tochter-Gespräch vor, bei dem er sie schonend über Dinge aufklären wollte, die sie längst wusste. Es würde peinlich werden. Andererseits mochte sie die Gelegenheit, den schönen Wagen zu fahren, nicht ungenutzt verstreichen lassen.
»Wann denn?«
»Jetzt.«
»Oh. Ich brauche
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