Unter den Sternen von Rio
man ihn glauben lassen, sie sei tot? Und warum hatte man mit ihr dasselbe grausame Spiel gespielt? Diese und tausend weitere Fragen tosten mit einer Gewalt durch seinen Kopf, der er nichts entgegenzusetzen hatte. Es war Zeit für einen Anruf.
Seine Finger zitterten, als er die Nummer wählte, die sie ihm aufgeschrieben hatte. Seit es das Fräulein vom Amt nicht mehr gab, sondern man den gewünschten Teilnehmer direkt anwählen konnte, war schon die erste Begrüßung eine schwere Hürde. Eine Telefonistin würde ihn angekündigt haben. So aber musste er sich selber ankündigen. Was sollte er sagen? »Hallo, ich bin’s«? Und was, wenn ihr Ehemann das Gespräch annahm? »Guten Tag, mein Name ist António Carvalho. Dürfte ich bitte mit Ana Carolina sprechen?« Oder lieber »Ich würde gerne mit Madame sprechen«? António fühlte sich wie ein Schuljunge, dem eine schwere Prüfung bevorstand, obwohl er sich an keine Prüfung erinnern konnte, vor der ihm so bang gewesen wäre. Was war bloß mit ihm los?
»Allô?«, hörte er am anderen Ende nach einmaligem Klingeln.
»Caro«, sagte er nur, wenn auch ein wenig atemlos.
»António«, kam es zurück, erleichtert.
»Ich … es war ein Schock.«
»Ja.«
»Ich hätte darauf bestehen sollen, dass du noch ein wenig bleibst. Ich habe so viele Fragen.«
»Das hätte deiner Freundin nicht gefallen.«
»Wir müssen uns sehen«, platzte er heraus. »Wann können wir uns treffen?«
»Jetzt gleich?«
»Aber … ist dein Mann …?«
»Nein. Ich bin nicht verheiratet, António. Ich gebe mich hier als Witwe aus, wegen des Kindes. Als
deine
Witwe.«
»Oh.« Mehr fiel ihm dazu nicht ein. Er kam sich töricht vor. »Also jetzt gleich, sagst du? Wo wohnst du?«
Sie gab ihm die Adresse. Es war ein ganzes Stück von seiner Wohnung, aber an einem Sonntag wäre er schnell da.
»Ich fahre sofort los. Ich bin in einer Viertelstunde da.«
»Das ist vielleicht etwas optimistisch«, meinte sie. Ihm fiel ein, dass sie ja seine Visitenkarte und damit auch seine Adresse hatte.
»Bis gleich«, sagte er und legte auf.
Er schaffte es in zwölf Minuten.
Caro sah aus dem Fenster. Es war halb vier am Nachmittag, aber die Sonne stand bereits ziemlich tief und blendete sie. Sie erkannte seinen Bugatti sofort, als er mit viel zu hoher Geschwindigkeit um die Kurve geschossen kam. Hatte er den Wagen etwa wieder zurückimportiert? Was für ein Wahnsinn! Sie beobachtete António, wie er einparkte, und wunderte sich dann, warum er nicht ausstieg. Er war sehr schnell hier gewesen, vielleicht wollte er ihr die zu der Viertelstunde fehlenden drei Minuten gönnen, um sich auf den Besuch vorzubereiten? Oder brauchte er selber die Zeit, um sich für das Treffen zu wappnen? Dann stieg er aus und ging mit ausholenden Schritten zu ihrer Haustür. Es klingelte. Die Concierge meldete ihr über das hausinterne Telefon einen Besucher an.
Ja, er dürfe heraufkommen, sagte Caro.
Die folgende Minute erschien ihr wie die längste ihres Lebens.
42
A ugusto wurde den Verdacht nicht los, dass Monsieur Andaházy ihn betrogen hatte. Die vereinbarten sechs Prozent von den Einnahmen an der Abendkasse beliefen sich auf eine Summe, die gerade für eine Monatsmiete ausreichte – die Miete eines mickrigen
chambre de bonne,
wohlgemerkt. Doch er hatte keinerlei Möglichkeit, es zu beweisen. Monsieur Andaházy entkräftete Augustos empört vorgetragene Rechengleichung damit, dass die Hälfte der Besucher ja gar nichts oder nicht den vollen Preis bezahlt habe. Dagegen konnte Augusto wenig sagen, denn es stimmte ja: Er hatte zahlreichen Leuten, im Gegenzug für ihre erbrachten Leistungen, Freikarten zukommen lassen.
Dennoch betrachtete er den Abend als Erfolg. Es war ihm gelungen, den Saal voll zu bekommen, und es war ihm ebenfalls gelungen, eine einigermaßen karnevaleske Dekoration sowie ein paar brasilianische Musiker herbeizuzaubern, und zwar in kürzester Zeit. Dass alles sehr improvisiert war, war kaum aufgefallen, denn dank Bel und dank eines sehr anspruchslosen Publikums war die Stimmung regelrecht durch die Decke gegangen. Es war eine tolle Party geworden, die, wenn sich das Ganze erst einmal herumsprach, Monsieur Andaházy sicher auch in Zukunft ein volles Haus bescheren würde.
Er und Bel wären dann allerdings nicht mehr da. Im Publikum hatte zufällig auch ein aufstrebender Filmregisseur gesessen. Er hatte auf einen Blick erkannt, dass jemand wie Bel, die tanzen
und
singen konnte, prädestiniert war
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